Steinbock im Hagengebirge
Berge

Die Berchtesgadener Steinböcke

Steinbock im Hagengebirge
Steinbock im Hagengebirge

Auf einer sommerlichen Wanderung durch das Hagengebirge kann man in gewissen Gegenden eine Begegnung mit Steinböcken fast garantieren. Allerdings war das beileibe nicht immer so. Die ursprüngliche Population dieser beeindruckenden Wildziegen wurde bereits im ausgehenden Mittelalter massiv durch offizielle Jagd und Wilderei gleichermaßen reduziert. Der Steinbock galt als „wandelnde Apotheke“ und unter anderem seinem Gehörn, den Magensteinen und dem Herzkreuz, einer kreuzförmig verknöcherten Sehne am Herzen, wurden allerlei Wunderwirkungen nachgesagt. Die Auseinandersetzungen zwischen Jägern und Wilderern um diese begehrte Beute gipfelten so oft in Blutvergießen und Morden aus dem Hinterhalt, dass letztlich ein Salzburger Erzbischof den Totalabschuss der Steinböcke befahl, um den Gewalttätigkeiten ein Ende zu setzen.

Erst im Jahr 1920 wurde im Salzburger Blühnbachtal der Versuch gestartet, dieses Wild wieder im Hagengebirge heimisch zu machen. Auf deutscher Seite begann die Wiederansiedlung im Jahr 1936 auf einen Erlass von „Reichsjägermeister“ Herman Göring hin, der dieses „urdeutsche Wild“ wieder heimisch machen und letztlich auch wieder erlegen wollte. Mit immensem finanziellem und personellem Aufwand wurde in der Nähe der Wasseralm in der Röth ein 15 Hektar großes Gehege errichtet, und sogar eine eigene Seilbahn zum Transport der Tiere von der hinteren Fischunkelalm hinauf zum Landtalsteig gebaut.

Wasseralm
Wasseralm

Aus der Schweiz wurden dann die ersten vier Steinböcke – drei Geißen und ein Bock – geliefert. Es ging in Holzkisten per Schiff über den Bodensee, mit dem Zug nach Berchtesgaden, auf weiteren Schiffen über Königssee und Obersee und schließlich mit Hilfe der Seilbahn und kräftiger Träger zum Gehege. Dessen Standort in der Röth war jedoch schlecht gewählt. Die Gegend ist bekannt für ihre großen Schneemengen, heute hält sich dort kein Steinwild auf. Letztlich mussten die Tiere jeden Winter mit Heu durchgefüttert werden, da sie nicht in schneearmem, felsigem Gelände Nahrung suchen konnten. Vier Jäger wurden eigens für diese Arbeit abgestellt, die das Heu per Seilbahn hinaufbefördern und immer wieder den gefährlichen Auf- und Abstieg mit den Schiern bewältigen mussten.

Wegen des ungünstigen Gehegestandortes und weil die Tiere auf engem Raum mit Parasiten und Krankheiten zu kämpfen hatten, wuchs der Bestand in den Folgejahren kaum an. Mehrfach wurden weitere Steinböcke dazugebracht, jedoch ohne besonderen Erfolg. Die Geburt des ersten Kitzes im Jahr 1938 wurde fast als nationales Ereignis gefeiert, allerdings blieb die Geburtenrate bis 1944 sehr dürftig – nicht einmal ein Kitz pro Jahr. Erst dann hatte man ein Einsehen und öffnete das Gatter, damit die Tiere sich ihren eigenen Lebensraum suchen konnten. Bald kam es zur Vermischung mit den angesiedelten Salzburger Steinböcken und der grenzübergreifende Bestand wuchs im Lauf der folgenden Jahrzehnte auf die bis heute recht stabile Zahl von etwa 150 Tieren an.

Steinbockrudel
Heute wieder ein regelmäßiger Anblick: Steinbockrudel

Glücklicherweise wird dieses schöne Wild bis heute auf bayrischer Seite nicht bejagt. Im nahen Österreich gibt es hin und wieder einige wenige Abschüsse, die jedoch kaum Einfluss auf den Gesamtbestand haben. Daher kann man nun auf Bergtouren zwischen Schneibstein und Funtenseetauern mit großer Wahrscheinlichkeit auf verstreute Rudel der stattlichen Hornträger stoßen. Hoffen wir, dass die Rückkehr des Steinbocks diesmal dauerhaft ist.

Toni Wegscheider ist freiberuflicher Biologe und ein intimer Kenner der Berchtesgadener Berg- und Tierwelt. Neben seiner Arbeit als Freilandforscher beim Steinadler-Monitoring des Nationalparks Berchtesgaden ist er auch als Musuemspädagoge im Salzburger Haus der Natur tätig und bietet Natur- und Wildtierführungen an.

3 Kommentare

  • Steve

    Danke für die ausführliche Darstellung Toni.
    150 Tiere; Wahnsinn. Ich hatte bisher immer 100 als Zahl im Kopf.

    Vom Schneibstein bis zum Funtenseetauern habe ich sie schon gesehen, vereinzelt sieht man auch welche am Watzmann.

    Wie sieht es denn mit Sichtungen am Untersberg, auf der Reiteralm, den Hochlagen des Steinernen Meeres und um den Hochkalter aus? Dort habe ich bisher noch keine Böcke gesehen. Gibt es dort auch welche oder ist das zu weit weg von deren eigentlichem Revier?

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