
Miss Evelyne – die Roaring Twenties in der Alpenstadt

Der erste Weltkrieg ist überstanden, in Europa herrscht Armut. Sommerfrische und Kuren sind betuchteren Schichten vorbehalten, die ebenfalls unter der jüngsten Katastrophe leiden. Nicht die besten Voraussetzungen für eine Kurstadt wie Bad Reichenhall. Schwer hat sie zu kämpfen: der Adel des Deutschen Kaiserreiches, Österreich-Ungarns und Osteuropas, der sich noch während der Belle Epoque in der Alpenstadt vom Nichtstun erholte, bleibt aus. Der Kurpark, vor wenigen Jahren um Gradierhaus, Kurhaus und Konzertrotunde ergänzt, muss erst wieder vom Not-Kartoffelacker zum Lustgarten umgegraben werden.


In diesen Zeiten braucht es Erfindergeist und Innovationsdrang. Wie in der Schweiz möchte man den Wintersport ins Staatsbad holen, indem eine Bergbahn ins Leben gerufen wird. Nach langen Überlegungen entscheidet man sich gegen Hochstaufen und Untersberg und für einen Felsvorsprung unterhalb des Hochschlegels, den bisher unbedeutenden Predigtstuhl. Doch das genügt noch nicht, um neue Gäste in den Talkessel zu locken – Reklame muss gemacht werden. Und hier kommt eine geldige New Yorkerin ins Spiel: Miss Evelyne Dollar. Die Filmstelle der Bahn in Nürnberg dreht 1928 einen Werbefilm in Bad Reichenhall, der sämtliche Attraktionen in Spielfilmlänge präsentiert: „Miss Evelyne, die Badefee“. Eingebettet sind diese in die Geschichte um eine reiche amerikanische Touristin, die durch eine List den Annäherungsversuchen der heimischen Männerwelt entkommt. Anschließend erkundet sie die Sehenswürdigkeiten Reichenhalls mit ihrem Urlaubsflirt, dem Kurarzt Dr. Freytag. Die Wahl einer Amerikanerin als Hauptrolle kam nicht von ungefähr, waren doch finanzstarke US-Bürger die neue Wunschklientel der Kurstadt. Der Werbe-Spielfilm ist schließlich ab 1929 im Kino und bis in die frühen Dreißigerjahre auf den Schiffen der Norddeutschen Lloyd zu sehen.



Obwohl die ersten Tonfilme bereits in den Lichtspielhäusern laufen, bleibt Miss Evelyne stumm. Dies tut dem Filmerlebnis jedoch keinen Abbruch, vielmehr unterstreicht es den Charme der Produktion, die seit dem neuen Jahrtausend von Klaviermusik begleitet wird. Aufgenommen wurde diese bei der Premiere des wieder entdeckten Filmes im Mai 2003. Kristian Aleksic, ein Reichenhaller Philharmoniker, improvisierte live im Park-Kino am Piano und ging dabei meisterlich auf Stimmung und Tempo der Handlung ein. Für das Park-Kino in Reichenhall stellte der neu aufgelegte Streifen einen Wendepunkt dar, hätte es doch ohne den Erfolg des Filmes wahrscheinlich zugesperrt.





Ganz besondere Freude an Miss Evelyne hat jeder, der die Drehorte wiedererkennt. Und Gelegenheit dazu gibt es reichlich: Thumsee, Padinger Alm, Bürgerbräu, Staufenhaus, Predigtstuhlbahn, Kurmittelhaus und der Tennisplatz am Park-Kino sind nur einige der Plätze, die auch heute noch zu bestaunen sind. Fast noch interessanter sind die Orte, die man heutzutage nicht mehr sieht, weil sie entweder im Krieg zerstört oder später abgerissen wurden, wie beispielsweise das Dianabad (heute Dianapassage mit Depot, Cafè Löbig, Strumpf-Rehrl). Aber nicht nur in Reichenhall wurde gedreht, auch das Stöhrhaus am Berchtesgadener Hochthron, das Mauthäusl in Weißbach, Schloss Staufeneck und der Bahnhof Piding sind vertreten.



Was der Film hervorragend zu transportieren versteht, ist das mondäne Flair, das im Bad Reichenhall der 1920er Jahre wieder auflebte. Die Alpenstadt war im ausgehenden 19. Jahrhundert die Sommerfrische-Residenz der Schönen und Reichen. Wochen-, manchmal monatelang wurde dem süßen Lebensstil gefrönt, wurden Schönheit und Wohlbefinden in gesunder Bergluft und heilender Sole gepflegt. Die zahllosen Villen im Kurviertel zwischen Krankenhaus, Bahnhof und St. Zeno zeugen noch heute von dieser Epoche, ebenso die Unterkünfte aus der Zeit, die es bis in die Gegenwart geschafft haben (Axelmannstein, Erika, Alpina, Palmina, Luisenbad etc.). Unterbrochen vom ersten Weltkrieg flammte dieses Lebensgefühl in den goldenen Zwanzigern erneut auf, diesmal ergänzt um die Wonnen der modernen Spaßgesellschaft. In den ersten Betriebsjahren der Predigtstuhlbahn soll auch nachts die Gondel ins Berghotel gefahren sein, wo rauschende Parties in Gipfelnähe gefeiert wurden. Dieses Ambiente aus Luxus, Glamour und Lebensfreude versteht Miss Evelyne perfekt zu transportieren. Man denke nur an den hochmodernen Flieger der Lufthansa, mit dem die New Yorkerin auf dem Flugplatz Mayerhof landet (ja, Reichenhall hatte seinen eigenen Flughafen!), an luxuriöse Suiten im Grandhotel Axelmannstein, an Bälle, Konzerte und Tennis-Matches, Fangobehandlungen im Kurmittelhaus und die ständig wechselnde elegante Garderobe.



Die Besetzung war gemischt aus unbekannten Darstellern wie Pilar Munza (Hauptrolle) und etablierten Schauspielern aus der Münchner Theaterszene wie August Junker (René Bombast) und Karl Peukert (Dr. Freytag). Bobby Todd (Ritter Karlheinz von und zu Daxl) begann seine Filmkarriere mit Miss Evelyne. Regie führte Norman Dix.
Die DVD zum Film ist in vielen Tourist Infos und beim Deutsche Bahn Museum Nürnberg erhältlich. Mit darin enthalten sind weitere Werbefilme aus der Region: Das Salzbergrennen (1928), Von Berchtesgaden in die Ramsau (1928) und Die Predigtstuhlbahn bei Bad Reichenhall (1929).
Einen schönen Filmeabend wünscht euch
Fabi
Quellen:
Ebenfeld, Stefan: Tourismus, Technik und Sport in den Bayerischen Alpen; DB Museum, Nürnberg 2015
Lang, Johannes: Drahtseile zum Himmel; 2007
Miss Evelyne, die Badefee; Deutsche Bahn Stiftung gGmbH, Nürnberg 2015


4 Kommentare
Helma Türk
Gratulation zu diesem Artikel! Gut recherchiert und lebendig geschrieben bringt uns der Artikel die „Goldenen 20er“ wieder nahe.
Ullrich, Fred
Am Freitag, 6. JULI exclusiv im Bad Reichenhaller Park-Kino Vorstellung „Miss Evelyne, die Badefee“ mit Live-Musik Kristian Aleksic, Klavier und dem Salonquartett Reich an Hall, jetzt Karten sichern! Tel.: 08651/2715 im Park-Kino, Veranstaltung im Rahmen 150 Jahre Königlicher Kurgarten Festwoche!
Jenny
Gleich das zweite Bild ist ja schon krass. Den Werbefilm würde ich dann auch gerne mal sehen!
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