Kultur

Ein Tag im Leben eines Komparsen

Am Vortag zum Filmdreh, für den ich mich als Statistin beworben haben, am Fronleichnamstag in Bad Reichenhall, kommt eine sms mit der Startzeit: 5:45 Uhr. Ein böser Scherz? Nein. Start 5:45 am „Parkplatz Kulturhaus“, was nur das Königliche Kurhaus in Reichenhall sein kann. Bestätigen oder Absagen? Nach kurzer Rücksprache mit Freundin Karin: Wir ziehen das durch! 4:15 Uhr Aufstehen, wenigstens sind die Straßen frei. Am Parkplatz vor dem Kurhaus wartet schon eine lange Schlange vor der Maske, wo 2 Friseurinnen in einem Einsatzwagen und eine dritte draußen in einem Plastikpavillon schon eifrig Zöpfe flechten und Brennscheren vorheizen.

5:45 Uhr: Warten auf Frisur und Maske
5:45 Uhr: Warten auf Frisur und Maske

Der Film, „The Trapp Family“, spielt in den Dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Komparsen mit rot-blau-gefärbten Haaren, Tattoos und Piercings waren erst gar nicht zugelassen. Alle anderen erscheinen ungeschminkt und mit natürlich aussehendem Haar. Die Sache mit dem „ungeschminkt“ verursacht fast eine Meuterei unter den Damen. Einige haben ihr privates Schminktäschchen dabei und kündigen an, sich notfalls selbst zu versorgen, wenn sie kein anständiges Make-up bekommen.

103 Komparsen, davon mehr als 50 Prozent Frauen, das heißt, erstmal drei Stunden warten! Zum Trost gibt es Kaffee und Brezen. Ein Teil wird schon in Bussen zur Alten Saline gefahren und eingekleidet. Wir haben alle unsere Kleider und Anzüge schon zwei Wochen zuvor anprobiert und mit Nummern versehen bekommen. Also rein in die Ballkleider und Festtagsdirndl, Männer in Smoking und Anzug oder in die selbst mitgebrachte Tracht.

Konzertbesucherinnen aus den 30er-Jahren
Konzertbesucherinnen aus den 30er-Jahren

Die Szene, die gedreht wird, heißt „Concert Hall“ – ja, es wird am Ende Englisch gesprochen in diesem Film, den ein holländischer Regisseur mit Starbesetzung – Mathew Mc Fadyen, vielen bekannt aus „Stolz und Vorurteil“, und Yvonne Catterfeld – zunächst für den amerikanischen Markt produziert. Denn dort – und in Ostasien – sitzen bekanntlich die größten Fans der Trapp-Familie.

Konzert im Königlichen Kurhaus Bad Reichenhall
Konzert im Königlichen Kurhaus Bad Reichenhall 1938

Gegen 10 Uhr dann sind auch die Stars und die Trapp-Kinder angezogen und geschminkt und es kann eine erste Probe – bei uns heißt das „Achtung: rehearsal!“ – gemacht werden. Für die Komparsen eine Sitzrolle. Auf der Bühne des Kurhauses ein Flügel mit Pianist, viele Blumen, 8 Trapp-Kinder unterschiedlicher Größe, und Yvonne Catterfeld im Dirndl. Von rechts kommt dann der Kapitän Trapp auf die Bühne, wir Komparsen in aufgeregter Neugier, wir drehen die Köpfe nach ihm – aber nicht zu übertrieben! Einige „rehearsals“, die Kinder singen ihr „Ave Maria“ gefühlte zwanzig Mal, dann wird gedreht und irgendwann ist die Szene tatsächlich im Kasten.

Die Trapp-Kinder singen "Ave Maria", ca. 20 Mal
Die Trapp-Kinder singen „Ave Maria“

Jetzt heißt es wieder warten, Brotzeit, Getränke, Warten, Lesen, Ratschen, Beine ausstrecken, die Pumps ausziehen, Warten. Draußen hat’s dreißig Grad, ich war dieses Jahr noch gar nicht im Thumsee, ein Eis wäre jetzt fein. Warten.

Wartende Komparsen
Wartende Komparsen

Dann irgendwann Aufstellung im Foyer, Ankunft der Gäste zum Trapp-Konzert am 11. März 1938. Die Stars sind unter den Komparsen. Wir üben den Einzug in den Konzertsaal, einmal, zweimal, dreimal. Ich führe vorne den Zug an, werfe mich in Pose, denke: Jetzt bin ich im Bild! Nix da, die Kamera steht drei Meter hinter mir, natürlich auf die Stars gerichtet.

Dann sitzen wir in unseren Reihen und üben den enthusiastischen Schlussapplaus. Nicht zu steif, aber auch nicht ständig mit dem Kopf hin- und herwackeln wie der Herr im Smoking in der vorletzten Reihe! Wieder eine klassische Sitzrolle. Irgendwann haben wir’s geschafft. Es ist 17 Uhr, wir sind jetzt 12 Stunden auf den Beinen. Die Damen dürfen ihre Haarnadeln, die falschen Zöpfe und Perlen wieder abliefern, die Herren dürfen schon zum Umziehen in die alte Saline.

Fix und fertig nach 12 Stunden Film-Set
Fix und fertig nach 12 Stunden Film-Set

Als wir Damen dorthin kommen: Eine lange Schlange.

Schlange stehende Komparsinnen
Schlange stehende Komparsinnen

Frisch gebügelt hängen schon die Hemden und Blusen für die Trapp-Kinder in der Sonne. Um 18.15 Uhr sind wir fertig. 12,5 Stunden Dreh- bzw. Anwesenheitszeit, Tagespauschale inkl. Nachtzuschlag (5:45!) – nur so viel: Man wird nicht reich davon. Aber es war natürlich ein kleines Abenteuer an diesem Fronleichnamstag 2015. Am Schluss geht sich sogar noch ein Bad im Thumsee aus, bei erfrischenden 16,9 Grad. Und im November schauen wir uns „The Trapp Family“ an und werden genau hinsehen, ob irgendwo eine Schuhspitze oder eine mit der Brennschere gelegte Haarwelle von uns zu sehen sein wird.

Die Hemden und Blusen der Trapp-Kinder
Die Hemden und Blusen der Trapp-Kinder

Lisa Graf-Riemann ist in Passau geboren und lebt seit vielen Jahren in Marktschellenberg im Berchtesgadener Land. Sie schreibt Reisebücher, Lehrwerke und bisher 6 Kriminalromane: "Eine schöne Leich" (2010), "Donaugrab" (2011), "Eisprinzessin" (2013) und "Madame Merckx trinkt keinen Wein" (2015). Die Romane "Hirschgulasch" (2012) und "Rehragout" (2014), die auch im Berchtesgadener Land spielen, schrieb sie zusammen mit Ottmar Neuburger. Mit ihm verfasste sie auch die "111 Orte im Berchtesgadener Land, die man gesehen haben muss" (aktualisierte Neuauflage 2015). Alle Bücher sind im Emons Verlag in Köln erschienen. Wenn sie nicht am Schreibtisch sitzt , findet man sie im Sommer wie im Winter in den heimischen Bergen, auf einem Klettersteig oder beim Schwimmen am Thumsee.

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