
Mit der Nachtwächterin durch Berchtesgaden

Gestern Abend habe ich den Markt Berchtesgaden von einer anderen Seite kennengelernt: Ich war mit Nachtwächterin Anna Glossner unterwegs.
Um 20 Uhr treffen wir uns, eine bunt gemischte Truppe von Einheimischen und Gästen, vor dem AlpenCongress Berchtesgaden. Nach einer kurzen Begrüßung nimmt uns die Nachtwächterin mit zur ersten Station der Führung: Der nahegelegene alte Friedhof.

Der Alte Friedhof Berchtesgaden ist einer der schönsten Friedhöfe überhaupt: mitten im Ort bildet er mit seinem Baumbestand einen Ort der Stille inmitten des belebten Marktes. Die wenigen freien Gräber hier sind begehrt, die Verlosung der freien Grabstätten und der große Andrang haben bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Anna Glossner erzählt uns berührende Geschichten von Gefallenen und Gestorbenen. Auch die Geschichte von Anton Adner ist Teil der Führung: Das mächtige eiserne Grabdenkmal für den mit 117 Jahren verstorbenen Anton Adner stiftete König Max I. 1822.

Das Grab des ältesten Berchtesgadeners liegt übrigens direkt an der Nordseite der Franziskanerkirche.

Der massive gemauerte Turm der Kirche wurde erst nachträglich gebaut, die Franziskaner hatten sich ja der Armut verschrieben. Der bescheidene hölzerne Turm ist auf unserem weiteren Weg gut zu sehen.

Wir gehen am Berchtesgadener Bauerntheater vorbei in die Angergasse hinein. Diese Gasse bildet eine Sichtachse zwischen der Franziskanerkirche und der Evangelischen Kirche. Unsere Nachtwächterin erzählt uns, wie schwer es früher war, im katholischen Berchtesgaden Protestant zu sein. Die traurige Geschichte gipfelt in der Vertreibung der Protestanten in den Jahren 1731 bis 1733.

Von der Angergasse blicken wir hinauf zur Villa Pintsch: Das auch als Villa Marienfels bekannte Haus klebt förmlich an den Felsen oberhalb des Marktes und ist ein wahrer Blickfang. Weit ausladende Balkone und eine aufwändige Putzgliederung machen das 1892/93 erbaute Haus zu einem echten Hingucker.

Anna Glossner führt uns nun durch die enge Gasse der Ludwig Ganghofer Straße: Vorbei an der Galerie Ganghof und dem Kunsthaus Nonntal 10 erreichen wir das ehemalige Weinhaus Hofschaffer: Unter den Nachtschwärmern vergangener Generationen hat der Hofschaffer einen legendären Ruf, ich kenne es aber nur als Heimat eines Möbel- und Wohn-Accessoire-Geschäft.

Nächste Station unserer Nachtwächterführung ist das Fruchthaus Faes.

Anna erzählt uns die Geschichte der Familie Faes: 1873 kommt die Familie aus Südtirol nach Bayern. Zuerst nach Bad Reichenhall, 1880 dann nach Berchtesgaden. Das Spezialitäten-Geschäft für Gemüse, Wein und Obst etabliert sich schnell und wird zur Institution in Berchtesgaden.

Heute gilt der Faes als ältestes familiengeführtes Unternehmen in Berchtesgaden und bietet neben den bekannten Spezialitäten auch Weinproben und –seminare, frische Trüffel oder saisonale Besonderheiten an.

Wir haben jetzt die Fußgängerzone betreten. Vorbei am Goldeselbrunnen und dem ehemaligen Huthaus Kreiser erreichen wir die Kreuzung der beiden Straßenzüge Weihnachtsschützenplatz und Marktplatz.

Hier stehen zwei extrem geschichtsträchtige Gebäude. Zum einen das Kasererhaus. Eine reich stuckierte Fassade verbirgt ein uraltes Haus. Die aufgemalte Datierung „1759“ stimmt wohl nur für einige Teile des Hauses, im Kern ist das bis zu drei Stockwerke hohe Gebäude viel älter.

Und direkt gegenüber steht der Bier Adam: die älteste Bierwirtschaft in Berchtesgaden. Bereits 1546 bestand hier ein „Pieshaus“, damals die einzige Wirtschaft, die Bier ausgeschenkt hat. Im restlichen Berchtesgaden trank man zu dieser Zeit nämlich Wein.

In der einsetzenden Dämmerung folgen wir der Nachtwächterin durch den oberen Markt.


Am Marktbrunnen bleiben wir nochmal stehen und lauschen, was uns Anna über das Hirschenhaus erzählt: Das Wohn- und Geschäftshaus ist nicht nur durch seinen runden Eckturm so bekannt, sondern vor allem durch die Fassaden-Malerei. Musizierende Tiere karikieren die herrschende Klasse! Gegenüber steht der Gasthof Neuhaus, dessen Biergarten im Sommer zum beliebten Treffpunkt von Einheimischen wie Gästen wird.

Durch zwei Torbogen erreichen wir schließlich den Schlossplatz. Das beeindruckende Ensemble war der geistige und gesellschaftliche Mittelpunkt der einst eigenständigen Fürstprobstei Berchtesgaden.

Rundum ist der Platz von historischen Gebäuden begrenzt: Königliches Schloss und Stiftskirche schließen den Platz nach Süden und Osten ab, die ehemalige Stallmeisterei nach Norden.
Und im Westen trennt das ehemalige Kassierhaus mit Getreidespeicher den Schlossplatz mit eindrucksvollen Arkaden ab.






Nachtwächterin Anna Glossner erzählt uns viel über die Geschichte des Schlossplatz-Ensembles, Namen wie Berengar und Eberwein fallen, die Geschichte Berchtesgadens als eigenständiger Kirchenstaat, als Teil Österreichs – kurzzeitig gar Frankreichs – und schließlich Bayerns wird erklärt. Ich wusste vieles davon, aber bei weitem nicht alles.
Nach etwa zwei Stunden kann ich sagen: Eine Nachtwächterführung durch Berchtesgaden lohnt sich! Liebe Anna, vielen Dank für die Führung. Wenn Ihr auch mal eine Nachtwächterführung durch Berchtesgaden machen wollt, meldet Euch bei Anna Glossner. Alle Infos findet Ihr auf unser Website.
Euer Sepp


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