Berge

Die Watzmannüberschreitung: Eine kritische Betrachtung

Lang ersehnt und nach drei Jahren des Wartens endlich umgesetzt: Die Watzmannüberschreitung. Deklariert wird sie als das Highlight in den Berchtesgadener Alpen, umfasst sie neben grandiosen Ausblicken zusätzlich mit der Mittelspitze (2.713 Meter) den höchsten Punkt Berchtesgadens.

Watzmannmittelspitze: Der höchste Punkt Berchtesgadens

Im Vorfeld hörte ich bereits viel über entsprechende Tour, deren Beschaffen- und Ausgesetztheit. Die Geister schienen sich zu scheiden: So wurde mir einerseits zugetragen, dass es sich, mit entsprechender Erfahrung, um eine eher leichtere Tour handeln sollte – so erklärten mir andere Personen, dass die Überschreitung des Königs nicht zu unterschätzen sei. Ich war ratlos. Musste ich nun endlich selbst den Schritt wagen, um meine eigene Erfahrung und somit Meinung über diese Tour machen zu können.

Das Empfinden gegenüber der Watzmannüberschreitung ist sehr individuell

So geschehen starteten mein Freund Lukas und ich in den früheren Morgenstunden in Nähe der Wimbachbrücke um in Richtung Mitterkaseralm zu laufen. Die Luft war an diesem Sommermorgen bereits erwärmt und so flossen bereits die ersten Schweißperlen über unsere Gesichter, bis wir schließlich Mitterkaser erreichten und weiter in Richtung Stubenalm laufen konnten.

Bereits zu diesem Zeitpunkt festzustellen war, dass wir an solchem Tag auf etliche Menschen treffen würden, begegneten wir einigen von ihnen bereits im Anstieg zum Watzmannhaus. Dort angekommen füllten wir rasch unsere Flüssigkeiten auf um uns zum Hocheck zu begeben. Da wir nicht wussten, wie viel Zeit ich am Grat – bzw. der Überschreitung generell brauchen würde forcierten wir den Anstieg zum Hocheck im schnelleren Tempo.

Hocheck

Das Hocheck (2651 Meter), als erster und niedrigster Gipfel der Watzmannüberschreitung, imponiert mit seinem goldfarbenen Gipfelkreuz und einer weitläufigen Aussicht auf Berchtesgaden. Bereits jetzt kann ich einen Blick auf das, vor uns liegende Abenteuer werfen: Den Watzmanngrat.

Lukas begibt sich auf den Watzmanngrat
Das nächste Ziel liegt vor uns: Die Watzmann Mittelspitze

In den vergangenen Jahren entstanden immer wieder Diskussionen über die Versicherungen an solchem; nützlich oder doch eher illusorisch sicherheitsspendend? Im vergangenen Jahr kam es dann zu dem Entschluss: Einige Passagen wurden vom Drahtseil befreit; zu stark verließen sich manche BegeherInnen auf diese und nahmen durch das Vorhandensein von Versicherungen fälschlicherweise an, es würde sich bei der Watzmannüberschreitung um einen Klettersteig handeln. Die Schwierigkeit in solcher Annahme sehe ich aus heutiger Sicht im Punkto social media und unkonkreten Tourenbeschreibungen. Ich selbst merke des öfteren, dass ich mich zu sehr auf Artikel im Internet berufe – Dinge sehe und das Gefahrenpotential verkenne. Das ist gefährlich; kann das Leben am und in den Bergen doch schneller vorbei sein, als gedacht.

Im vergangenen Jahr wurden bewusst Drahseilversicherungen entfernt
Schotterbehaftetes Gelände
Während der Überschreitung muss immer wieder abgeklettert werden

Nachdem wir die nächsten Schritte ausgemacht haben, begeben wir uns „in“ den Berg. Immer wieder habe ich am heutigen Tag den Eindruck, dass wir den Watzmann nicht nur über- sondern auch gewissermaßen „durch“-queren. Die Hände kommen oft zum Einsatz, Fels und Körper werden Eins. Das pures Naturerlebnis. Meine Blicke richten sich insbesondere auf die vor mir liegenden Passagen; bleibe ich stehen, so wird mir klar: Seitlich von mir geht es jeweils über 2.000 Meter bergab. Ich spüre ein deutliches Maß an Respekt in mir aufkommen und setze meine Füße, meine Hände, ja – eigentlich alles, mit Bedacht und Konzentration. Wirkt das Voranschreiten bei Lukas leichtfüßig und routiniert, so merke ich meine Unerfahrenheit bezüglich der Überschreitung sehr genau. Ermöglicht mir mein kontinuierliches Training am Berg viel Ausdauer, Energie und Wissen – so merke ich am heutigen Tage abermals, dass jeder Berg einzigartig und speziell ist. In ihm individuelle, spezifische Eigenschaften inne wohnen, die kennen gelernt und angenommen werden sollten. Durch die hohe Frequentierung, die der Watzmann erlebt, sind zahlreiche Steine abgetreten, speckig und laden somit zum rutschen ein.

Über, am und im Berg

Nach Erreichen der Watzmann Mittelspitze überkommen mich Freude und Glück: Noch nie stand ich hier, am höchsten Punkt des Berchtesgadener Landes; eine Premiere für mich.

Watzmann Mittelspitze

Doch der Weg möchte noch nicht enden. Nun brechen wir auf um uns zur Südspitze zu begeben und somit den dritten und letzten Gipfel des heutigen Tages zu erreichen. Der Weg bleibt exponiert und erfordert stetiges auf- und abklettern. Auch zieht sich solcher länger als die Passage zwischen Hocheck und Mittelspitze.

Rauf und runter

Immer wieder werden wir mit Stellen konfrontiert, die hundertprozentige Aufmerksamkeit erfordern. Links von uns St. Bartholomä, rechts liegend das Wimbachgries. Über den sogenannten ,,Kamin“ erreichen wir schlussendlich die Südspitze und werden von zahlreichen Personen empfangen.

Der 3. Gipfel der Watzmannüberschreitung: Die Südspitze
Ausblick ins Steinerne Meer

Nun kann ich imaginativ ein erstes Resümee abgeben: In der Überschreitung haben wir nicht all zu viel Zeit gelassen. Solche erfordert dennoch viel Konzentration und Aufmerksamkeit – jeder Tritt sollte mit Bedacht gesetzt werden. Erfahrung  muss vorhanden sein. Doch denke ich parallel bereits an den, für mich fordernden Teil: Den Abstieg. Jetzt wollen knapp 2.300 Höhenmeter via Südseite abgestiegen werden; keines meiner Stärken. Doch wer solches Spektakel erleben möchte, der muss auch wieder runter. Also machen wir uns nach kurzem Verweilen an der Südspitze auf den Weg bergabwärts.

Der Weg ist steil – nun jedoch nicht mehr ausgesetzt und eignet sich für den Abstieg optimal. Wir schützen unsere Hände mit Handschuhen, die uns nachher im Schotter zugute kommen werden.

Steil geht es bergab
Handschuhe helfen im Abstieg

Nachdem die, eher steinlastige Passage des Abstieges passiert ist treffen wir auf ein längeres Schotterfeld, was nun endlich wieder zum laufen einlädt.

Laufbares Schotterfeld im Abstieg

Der Weg hinunter erscheint mir als langwierig und nicht enden wollend. Der Blick ist jedoch stets auf das Wimbachgries gerichtet – durch welches wir gegen Ende der Tour laufen werden um zu unserem Ausgangspunkt zurück zu gelangen. Ein Blick hinter uns werfend sorgt dann nochmals für pures Bergerlebnis:

Blick zurück

Nach vielen Stunden erreichen wir die Wimbachgrieshütte, wo wir nochmals Flüssigkeit auffüllen müssen bevor es knapp 10 Kilometer durch das Wimbachgries laufend zurück geht. Mittlerweile ist die Anstrengung solcher Tour deutlich spürbar, die Beine werden müde und der Kopf möchte verrückt spielen. Überglücklich bin ich dann, als wir unser Auto erreichen und die Füße entspannen können. In der Summe bestritten wir 26 Kilometer und 2.300 Höhenmeter.

Ich blicke zurück: Mittlerweile ist es Nachmittag geworden, die Sonne brennt auf uns nieder und ich kann die Eindrücke des Tages noch nicht ganz fassen. Permanent konfrontiert mit der Höhe bin ich froh, nun wieder festen Boden unter mir zu haben. Die Watzmannüberschreitung ist ein Traum, das pure Bergerlebnis der Berchtesgadener Alpen. Doch habe ich großen Respekt vor ihr; nicht nur einmal habe ich mein Leben an diesem Tag sehr intensiv gespürt und damit verbunden: Auch die Gefahr, die solche Tour mit sich bringt.

Betonen möchte ich an dieser Stelle, dass Berge ihre eigenen Gesetze schreiben; wir im Vergleich zu ihnen kleine Mosaikstücke darstellen, die sich in das Bild einfügen können – jedoch für den Berg selbst nicht von Nöten sind. Er steht da, in seiner Dominanz, in seiner Macht. Gestalten wir unser Tun in diesem Terrain zu leichtfertig oder aber sind wir übervorsichtig so können Unfälle passieren – die in diesem Kontext jederzeit tödlich enden können. Parallel dazu gibt es stets Faktoren, die wir nicht beeinflussen können, wie beispielsweise das Wetter, welches in den Bergen minütlich umschlagen kann. Was wir jedoch sehr wohl beeinflussen können und worin auch ich mich weiterhin üben muss ist: Sich seiner eigenen Fähig- und Fertigkeiten im Klaren zu sein, zu reflektieren und das Gefahrenpotential einer Route ernst zu nehmen.

Der Berg gehört nicht dem Mensch. Es ist der Mensch, der dem Berg gehört, wenn er sich auf diesem befindet.

Eure Sarah

Howdy und Hallo! Mein Name ist Sarah und mich verschlug es vom Rothaargebirge ins Berchtesgadener Land. Da mir die heimatlichen Hügel des Nordrhein-Westfälischen Landes zu niedrig waren, zog ich 2015 von Bad Berleburg nach Bischofswiesen und erkunde seither laufend die umliegenden Berge.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert