Kultur

Der Almsommer beginnt

Die schönste Zeit im Jahr in Berchtesgaden

„Am Samstag is soweit, kimmst a zum Helfen?“ fragte mein Bruder letzte Woche. Logisch komm ich zum Almauftrieb. Schließlich freu ich mich schon das ganze Frühjahr darauf. Es ist die schönste Zeit, wenn oben der Schnee noch liegt und unten die ersten frischen Gräser und Kräuter sprießen und man endlich wieder das Glockengeläut auf den Almen hört.

Auch die Kühe und Kälber vom Perlerlehen am Obersalzberg spüren, dass es bald los geht. Ungefähr eine Woche vorm Almauftrieb dürfen die Kühe raus auf die Wiese. Obwohl es am Perlerlehen einen Laufstall gibt, ist es wichtig, dass das Vieh vorher aufs Feld kommt, damit sich die Klauen an den Boden gewöhnen und Muskeln aufgebaut werden können. Ganz ohne „Training“ wird es schwierig, den gut zweistündigen Marsch zu meistern.

Nun ist es soweit: Samstagmorgen. Nach einer Regenwoche ist schönes Wetter, als hätte es der Herrgott gewusst, dass es heute auf die Alm geht. Die zwei jungen Mädels Elisabeth und Steffi versuchen sich heuer das erste Mal als Sennerinnen auf der unteren Ahornalm, die zum Perlerlehen gehört. Es ist schön anzusehen, wie sich die beiden auf die kommende Zeit als Sennerinnen freuen.

Endlich sind alle Treiber da und es geht gemeinsam in den Stall. Dort wird für einen erfolgreichen Almauftrieb und einen guten und unfallfreien Sommer ein Vaterunser gebetet. Der Austragsbauer lässt sich nicht lumpen und hängt noch ein Gegrüßet seist du, Maria und ein Glaubensbekenntnis dran – jetzt kann aber wirklich nichts mehr schiefgehen.

Im Anschluss besprengt die Jungbäuerin das Vieh mit Weihwasser, welches vorher in der Franziskanerkirche in Berchtesgaden geholt worden ist. Die Franziskaner haben mit den heimischen Bauern eine enge Verbindung. Jedes Jahr kommt ein Pater vorbei und besprengt das Vieh mit Weihwasser.

Meine kleine Nichte darf die Kühe noch mit Aconitum besprühen. Das homöopathische Mittel wird aus Eisenhut gewonnen und ist in der Tier-Homöopathie für den ersten Austrieb und bei ungewohnten Situationen oder Stress empfohlen.*

Und dann kommt ein großer Moment, die Leitkuh darf zuerst ein bisschen an ihrer Glocke schnuppern und bekommt sie dann vom Bauern umgehängt. Die Kuhglocke dient nicht nur zum Wiederfinden der Rinder. Das Gebimmel der Schellen bietet einen gewissen Schutz gegen Raubtiere. Kühe fallen in das Beuteschema von Bären und Wölfen. Ist das Tier panisch und führt rasche Bewegungen aus, kann das Geläut der Glocke den Fressfeind in die Flucht schlagen.**

So, nun geht es los. Die Stalltür geht auf, die Sonne strahlt vom Himmel und schon nach den ersten Metern stehen die Nachbarn da und wünschen „Ois Guade fürn Oimsumma!“.

Zuerst geht es ein Stückchen bergab, damit wir keine Straße nutzen müssen und kommen gleich auf die Rodelbahn Obersalzberg. Auf dem benachbarten Feld stehen schon die Jungkälber, die wir nun quasi abholen. Gemeinsam mit den Kühen geht es nun bergauf.

Das Jungvieh kennt den Weg noch nicht und so versuchen sie jedes Schlupfloch zu erkunden. Ich als Treiber muss ganz schön rennen, um die Kälber wieder auf den richtigen Weg zu leiten. Schnell geht mir die Puste aus. Zeit wird’s, dass der Bergsommer mit vielen Wandertouren beginnt, denn meine Kondition lässt sehr zu wünschen übrig…

Nach der Rodelbahn Obersalzberg geht es auf den Carl von Linde Weg und von dort über die Busabfahrtsstelle Kehlstein ein kurzes Stück auf die Kehlsteinstraße. Aufgrund des schönen Wetters ist hier schon einiges los und wir bieten der wartenden Menge viele Möglichkeiten für Fotos. Denn das Jungvieh ist ganz und gar nicht mehr daran interessiert den Kühen nach zu gehen, sondern möchte viel lieber an Selfie-Sticks schnuppern.

Endlich sind alle wieder in der Spur. Auf der Rossfeldstraße haben sich schon beträchtliche Abstände zu den Kühen gebildet. Ich gehe mit meinen Mädls am Ende. Sennerin Elisabeth machte mit Kuh Sissi das tatsächliche Schlusslicht. Sissi fiel der Aufstieg sichtlich schwer, sie hatte eine Lungenentzündung und das machte sich noch bemerkbar. Sie musste alle paar Meter pausieren, doch ganz langsam mit viel Pause und mit Elisabeths warmen Worten kommen die beiden an.

Auf der Alm gibt es gleich mal Brotzeit und Getränke für die Helfer.

Das Vieh erfrischt sich am Quellwasser und kann gar nicht genug bekommen, von den herrlichen Almkräutern.

Und nach einer kurzen Weile kommen schon die ersten Wanderer. Ganz aufgeregt über die ersten Gäste servieren die beiden Sennerinnen ein schön hergerichtetes Speckbrot. Selbstgemachen Käse gibt es erst in den kommenden Tagen. Ich freu mich schon drauf und werde mit meinen Kindern demnächst den Steig von der Buchenhöhe bis zum Perlerkaser wandern und dann gleich den guaden Kas probieren.

Eure Kathrin

*Quelle: Buch „Klassische Homöopathie für Rinder“ (von Birgit Gnadl)
**Quelle: wikipedia.org

Ich bin am Obersalzberg groß geworden. Meine Eltern bieten Urlaub auf dem Bauernhof an und so bin ich mit vielen Kindern aus ganz Deutschland aufgewachsen. Klar, dass ich in der Tourismusbranche hängen blieb. Nach meiner Ausbildung in Salzburg ging es dann erstmal weg aus Berchtesgaden. Schnell musste ich feststellen, dass der berühmte Schriftsteller Ludwig Ganghofer mit seinem bekannten Zitat recht hatte: „Wen Gott lieb hat, den lässt er fallen ins Berchtesgadener Land“. Deshalb war ich bald wieder daheim. Seit ein paar Jahren sind wir stolze Eltern, was natürlich unser Leben komplett verändert hat. Meinem Mann und mir sind Werte und Traditionen wichtig und das versuchen wir auch unseren Kindern zu vermitteln. In meinen künftigen Blogbeiträgen möchte ich Euch in unsere Welt mit all seinen Besonderheiten in Berchtesgaden und Umgebung mitnehmen! Viel Spaß beim Lesen!

2 Kommentare

  • Jan Brennenstuhl

    Jetzt war ich schon so oft im Berchtesgadener Land und trotzdem hab ich es nie zum Almauftrieb geschafft. Danke für die Eindrücke. Muss ich mir unbedingt mal im Kalender markieren…

    • Kathrin

      Die Almzeit beginnt Ende Mai und endet dann Ende / Mitte September/ Anfang Oktober. Auch der Almabtrieb ist sehr sehenswert, vorallem wenn die Tiere gekranzt (=geschmückt) werden dürfen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert