
Bergstress im Wimbachgries

Samstag, Sonnenschein und frühlingshafte Temperaturen. Viele meinen da wohl „die Ann-Kathrin macht sich sicher einen schönen Tag“. Falsch gedacht! Ich hab Stress! Bergstress!
Samstagmorgen, der Wecker klingelt zum 3. Mal. Es ist kuschelig im Bett, es ist warm im Bett. Ich will eigentlich nur mal faulenzen. Aber nein! Schockiert schaue ich mit aufgerissenen Augen hinaus aus dem Schlafzimmerfenster. Sonnenschein. Blauer Himmel. Verdammt, ich muss raus aus dem Bett! Heute Mittag muss ich arbeiten, also will ich das schöne Wetter bestmöglichst ausnutzen. Also raus aus den Federn, ab ins Bad Zähne putzen. Waschen wird überbewertet, werde eh schwitzen wie verrückt. (Potentielle Dates sollten das jetzt überlesen :-P)
Es soll ins Wimbachgries gehen, genauer gesagt zur Wimbachgrieshütte. Laut offiziellem Wegeschild dauert die einfache Strecke 3 Stunden. Zeit habe ich aber für hin- und zurück 3 Stunden.
Um 08:30 Uhr komme ich am Parkplatz Wimbachbrücke an. Ausgestattet bin ich nur mit dem Nötigsten: Eine kleine Flasche zu trinken, meine Kamera, mein Handy und ganz viele Taschentücher. Denn passend zum tollen Wetter der nächsten Tage, habe ich einen Schnupfen. So ausgestattet, sehe ich eher aus als hätte ich mich verlaufen bei einer Führung auf St. Bartholomä als dass ich jetzt hier zur Wimbachgrieshütte laufe und wieder zurück. Es geht schnellen Schrittes vorbei am Wimbachlehen, vorbei an der geschlossenen Wimbachklamm in Richtung Wimbachschloss. Mein Ziel: Die erste Etappe in unter einer Stunde schaffen. Leicht machbar. Wie die Schneelage im Wimbachgries sein wird: ungewiss. Locker flockig komme ich am Wimbachschloss an. Ab hier beginnen nun auch die ersten Schneefelder. Beim Blick nach rechts entdecke ich ein Gamsrudel. Meine felligen Freunde stören sich nicht an meiner Anwesenheit, denn es ist Frühstückszeit.

So nun wird es immer schneereicher, aber noch breche ich in der Schneedecke nicht ein. Auch die Sonne ist noch nicht im Gries angekommen, somit schwitze ich auch nicht zu sehr.

Nun muss ich den schneebeckten Schuttstrom queren. Die Wolkenformationen schauen aus wie gemalt. Das blau des Himmels tut der Seele gut. Ein kurzer Moment zum inne halten. Ich habe noch eine flotte halbe Stunde vor mir und die Schneelage schaut ungut aus. Jetzt hätte ich gerne Schneeschuhe… Mit fast jedem Schritt sinke ich im Schnee ein. An wenigen Stellen knietief.
Der Geist ist motiviert, zäh und unverwüstlich. Der Körper auch? Noch fühle ich mich wie Ironwoman. Doch die Sonne ist nun auch im Wimbachgries angekommen. Sie knallt auf mich herab, schonungslos. Ich schwitze, ich schnaufe, ich huste. Trotzdem empfinde ich das nicht als Qual, ich bin wie beflügelt. Gerade bin ich ich der erste Mensch seit einigen Tagen in diesem einsamen Gebiet und ziehe meine Spur.


Jetzt sind es nur noch wenige Gehminuten zur Wimbachgrieshütte. Am Ziel angekommen schaue ich zuerst auf meine Uhr. Kann ich es nachher pünktlich zur Arbeit schaffen? Muss ich etwa anrufen, dass ich später komme? Quasi gefangen im Wimbachgries – gefangen im Gefängnis meiner Bergsucht. Der Blick auf die Uhr überrascht mich. Ich liege gut in der Zeit. Ein bisschen mehr als 1,5 Stunden bis zur Wimbachgrieshütte.
Auch wenn ich im Bergstress bin, genieße ich diesen erhabenen Moment. Ganz alleine, eine atemberaubende Kulisse, warme Sonnenstrahlen auf der Haut und das Wummern meines Herzens in der Brust. Ich schieße noch ein paar Fotos um dieses tolle Panorama festzuhalten um es dann mit anderen, die sich daran erfreuen teilen zu können.


Lange kann ich nicht pausieren. Die Uhr tickt. Es geht retour. Durch das leichte, stetige Gefälle im Wimbachgries macht das zurückrennen durch den Schnee richtig Spaß. Kurz hinter dem Wimbachschloss begegnen mir die Wandermassen. Viele nutzen das schöne Wetter und den freien Wochenendtag. Ich renne schmunzelnd und grüsend vorbei, in dem Wissen, heute Morgen die erste Person gewesen zu sein, die Natur in Ihrer ganzen Unberührheit und Wildheit erlebt zu haben.
Apropos wild: Tatsächlich schaffe ich es pünktlich zur Arbeit, es war sogar ein Mittagessen daheim, eine Dusche und eine Restauration meinerselbst machbar. Bergstress kann auch positiv sein – so weiß ich, dass ich an einem Samstag, an dem ich arbeiten muss trotzdem ein tolles Naturerlebnis hatte, was das Leben so lebenswert macht!
Flotte Grüße, eure Ann-Kathrin
Achja: Die gesamte Strecke hin- und zurück sind fast 22 Kilometer. Wurde mir erst hinterher bewusst wieviel Kilometer ich zum Frühstück an diesem Samstag gefressen habe.


3 Kommentare
Stephen
Großartige Bilder Ann-Kathrin! 22 Kilometer: das heißt ein echtes Bergsteigerfrühstück?
Grüß aus Großbritannien
Stefan
Liebe Ann-Kathrin,
Bergstress gibt es eigentlich gar nicht (mal unvorhergesehene Gewitter und sonstige Unwägbarkeiten außen vor). Insofern: alles richtig gemacht!!! Tolle Fotos, tolle Tour…! Und Dates von Bergverrückten müssen IMMER mit Schweiss und (für den Moment) unzureichender Hygiene rechnen… Das ist nunmal so! ;o) Da OBEN stört das aber auch keinen….
Wäre gerne mitgegangen….
Viele Grüße aus Wuppertal
Stefan
Herbert Hülss
Super Bilder und mitreißend geschrieben. So schön kann Leben in der Natur sein. Wünsche Dir noch viele solcher Touren und lass uns teilhaben. Liebe Grüße aus Franken