Gipfelgedanken

Souvenirs

Jeder kennt es: Das Souvenir. Ein Andenken, etwas, das Erlebtes vergegenwärtigen und dazu das Erinnern anknipsen soll. Vermutlich bietet jedes Reiseziel inzwischen ein Repertoire an entsprechenden Souvenir-Angeboten aus der Liste des je „Typischen“ der besuchten Orte und der dort besonderen Erlebnisquellen – und ebenso vermutlich hat jeder Reisende sich aus diesem Angebot schon einmal auf die ein oder andere Weise bedient.

Jetzt, wo die heurige Urlaubszeit für viele zu Ende gegangen ist und der Alltag daheim wieder die Aufmerksamkeit in die gewohnten Schranken weist, sind die Souvenirs in ihrem Element. Sie führen in den Vorratsraum unseres Ich – dorthin, wo die Erinnerungen lagern – lenken zu dem, was sich einem auf der Reise ans Herz gelegt hat und verlocken dazu, die Gegenwart für kurze Momente mit diesem Vergangenen zu überblenden.

Aber ihre Verlockungskraft verliert sich irgendwann. So wie sie Staub ansetzen im Regal, in der Vitrine in die hinteren Reihen wandern oder aber in der Speisekammer dem Verderben entgegenlagern, weil sie sich am heimischen Teller nicht immer mit der kulinarischen Erinnerung an ihren Herkunftsort decken. Sie verlieren den eigenwilligen Zauber, der sie als Brücke zwischen dem damals als Besonderheit Erlebten und der häuslichen Alltäglichkeit funktionieren lässt. Und nicht selten konfrontieren sie uns dann auch noch damit, dass wir im Moment des Souvenirerwerbs offenbar zu sehr verzaubert waren, um merken zu wollen, dass es sich bei den fraglichen Erinnerungsstücken um banalen Nippes handelt.

Souvenirs taugen daher nur bedingt als dauerhaftes Archiv für die Erlebnisse unserer Reisen. Im Gegenteil: sie führen uns buchstäblich vor Augen, dass sich der Schatz der Erinnerung an besondere Momente oder Orte nicht in Form von käuflichen Gegenständen aufbewahren oder durch den Besitz eines Andenkens sicherstellen lässt. Und genau deshalb sind sie wichtig: spätestens dann nämlich, wenn sich die Frage nach ihrer Entsorgung stellt, erinnern sie uns daran, wie wertvoll es ist, immer wieder neu etwas zu erleben, das uns besonders bewahrenswert scheint. Und das eben manchmal so sehr, dass nur der Kauf eines Souvenirs das heftige Bedürfnis stillen kann, solche Momente im wörtlichen Sinne festhalten zu können – auch wenn wir letztlich wissen, dass diese nicht im Souvenir, sondern nun in uns selbst fortleben können.

Jens Badura / September 2020

Jens Badura ist habilitierter Philosoph, lehrt Kulturtheorie an der Zürcher Hochschule der Künste, ist Senior Fellow am »Institut Kulturen der Alpen« der Uni Luzern in Altorf/CH und Teil des Wissenschaftsnetzwerks am Komeptenzzentrum „Kultur- und Kreativwirtschaft“ des Bundes in Berlin. Zusammen mit Andreas und Matthias Bunsen betreibt er den think & do-tank »creativeALPS«. Jens lebt mit seiner Familie und einer Herde Alpiner Steinschafe in Marktschellenberg/Berchtesgaden.

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