Herbst Laub
Gipfelgedanken

Herbstzeit

Wenn wir in Kürze wieder meinen, die Zeit anhalten und uns für eine Nacht eine Stunde „schenken“ zu können, sind wir im Herbst angekommen. Und der markiert nicht nur jene Phase im Jahr, wo sich das Welken und Absterben in lebendigen Färbungen vollzieht, sondern auch das anstehende Ende der Erntezeit: Soweit noch nicht geschehen sollte also das, was über den Sommer gediehen ist, eingefahren werden, um im Winter zuhanden zu sein.

Heuer steht ein Winter bevor, dessen Verlauf vermutlich nicht der gewohnten Dramaturgie folgen wird. „Ob wohl…“ dürfte eine der Zentralformeln der kommenden Monate werden: ob wohl Laternen, ob wohl Weihnachtsglanz oder ob wohl Silvesterraketen Licht in die Dunkelheit bringen werden? All das bleibt abzuwarten und seinerseits in dämmerndem Hoffen. Und ob wohl frostigen Außentemperaturen durch soziale Nahwärme im Innenraum begegnet werden kann, steht ebenso in den Sternen. Wobei zu hoffen ist, dass zumindest die zahlreiche Gelegenheiten haben, der Finsternis auf Erden ein wenig entgegenzustrahlen.

Unklaren Zukunftsaussichten kann man auf verschiedene Weise begegnen. Man kann sich in der Furcht vor dem Schlimmsten verzehren und dabei alternativloses Unwohl zu Eigen machen, man kann sich in die Vergangenheit zurückträumen und in melancholische Gefühlslagen einkuscheln oder kann sich ein Übermorgen erträumen, in dem das heutige Hoffen auf ein Gutwerden des Daseins geholfen hat.

Man kann aber auch in der Gegenwart bleiben und im herbstlichen Jetzt das ernten, was es uns bietet: die Buntheiten des Laubs, die Berge im ersten Weiß und deren derzeit eigensinnigen Belichtungen, zuweilen auch unerwartete Sonnenkraft und das Übergangsfrösteln bei der Einkehr in warme Atmosphären, wenn draußen der frühe Schatten wieder übernimmt. Kurz: man kann sich dem Herbst anvertrauen und im Moment die Zeit vergehen lassen.

Jens Badura / Oktober 2020

Jens Badura ist habilitierter Philosoph, lehrt Kulturtheorie an der Zürcher Hochschule der Künste, ist Senior Fellow am »Institut Kulturen der Alpen« der Uni Luzern in Altorf/CH und Teil des Wissenschaftsnetzwerks am Komeptenzzentrum „Kultur- und Kreativwirtschaft“ des Bundes in Berlin. Zusammen mit Andreas und Matthias Bunsen betreibt er den think & do-tank »creativeALPS«. Jens lebt mit seiner Familie und einer Herde Alpiner Steinschafe in Marktschellenberg/Berchtesgaden.

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