Gipfelgedanken

Geduld

Mit der Geduld ist es so eine Sache. Generell gilt es als Tugend, geduldig zu sein. Lässt sich aber etwas nicht mehr mit Geduld erdulden, kann es passieren, dass man mit der Geduld am Ende ist und der Geduldsfaden reißt. Um dem vorzubeugen, muß man sich in Geduld üben – um dann den Erfolg des Bemühens im Rahmen eines Geduldsspieles auf die (Gedulds-)Probe zu stellen. Dass auch Papier geduldig sein kann, sei nur der Vollständigkeit halber noch erwähnt.

Derzeit ist von allen viel Geduld gefordert: Es gilt auszuhalten, dass ursprünglich als Ausnahmezustand in Kraft gesetzte und teils schmerzhafte Einschränkungen des Gewohnten unabsehbar in Kraft bleiben oder sogar verschärft werden. Was bei dieser Geduldsprobe auf dem Spiel steht, ist bekanntermaßen erheblich: Die Gesundheit bis hin zum bloßen (Über-)Leben steht gegen die Freiheit zur lebenslustigen Unbeschwertheit, der Erfüllung sozialer und kultureller Bedürfnisse bis hin zur wirtschaftlichen Existenz. Es handelt sich also um einen überaus ernsthaften und tiefgreifenden Konflikt. Und die Forderung, diesen geduldig zu ertragen und nicht eskalieren zu lassen, darf mit Fug und Recht als Zumutung verstanden werden.

Zumutung hat mit Mut zu tun – es geht darum, von sich oder anderen zu erwarten, den Mut aufzubringen, etwas geduldig auszuhalten, auch dann, wenn man nicht sicher weiß, ob sich die Geduld später gelohnt haben wird. Die Kräfte, die es für die Aktivierung dieses Muts braucht, sind freilich begrenzt. Ihre Energiequelle heißt Hoffnung – darauf, dass sich das mutige Erdulden des Geduldigseins früher oder später lohnt.

Was aber könnte heute hoffnungsvoll stimmen in einer Gegenwart, in der wir uns daran zu gewöhnen beginnen, dass die öffentlich diskutierten Zukunftsperspektiven nicht nur beim Blick auf Corona eher düster ausfallen und zugleich die eigenen Handlungsmöglichkeiten, um dies ändern, sehr beschränkt erscheinen?

Im Herbst zeigt sich der Himmel aus der Talperspektive oft wolkengrau und wenig einladend, eine Bergtour anzugehen. Mutet man sich aber dennoch den Aufstieg zu, kann es gut sein, dass der durch die Wolken hindurch in klarstrahlenden Sonnenschein führt. Der Blick wird unvermutet frei für eine überwältigend weite Welt. Und auch wenn es dann früher oder später wieder ins Tal geht und die Wolken den Weltblick erneut trüben: Das Wissen darum, dass es erfüllend anders sein kann, als es zunächst schien, stiftet Hoffnung darauf, dass die Realität reicher an erfreulichen Perspektiven ist, als man denkt. Und auch wenn die Berge derzeit nicht für alle einfach erreichbar sind: Gangbare Wege aus dem Nebel gibt es viele, wenn man sich nur immer wieder zumutet, in Richtung hoffnungstiftender Momente aufzubrechen.

Jens Badura / November 2020

Jens Badura ist habilitierter Philosoph, lehrt Kulturtheorie an der Zürcher Hochschule der Künste, ist Senior Fellow am »Institut Kulturen der Alpen« der Uni Luzern in Altorf/CH und Teil des Wissenschaftsnetzwerks am Komeptenzzentrum „Kultur- und Kreativwirtschaft“ des Bundes in Berlin. Zusammen mit Andreas und Matthias Bunsen betreibt er den think & do-tank »creativeALPS«. Jens lebt mit seiner Familie und einer Herde Alpiner Steinschafe in Marktschellenberg/Berchtesgaden.

2 Kommentare

  • Fotohabitate

    Danke für diese aufbauenden Worte, die meine volle Zustimmung finden.
    Für mich ist neben der Antriebsfeder Hoffnung jedoch noch die (Nächsten)liebe bedeutsam.
    Sie hilft mir, andere, schwächere Menschen im Blick zu haben, aber auch diejenigen, die in Pflegeinrichtungen und Krankenhäusern immer stärker an und über ihre Grenzen gehen müssen und eine Verantwortung tragen müssen, die die meisten von uns sicher scheuen…

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