Berge

Neue Mitbewohnerinnen – zwei Bartgeier-Mädchen ziehen im Nationalpark Berchtesgaden ein

Auf einer Wanderung zur Halsalm gibt es für Groß und Klein immer viel zu erleben. Überall am Wegesrand locken spannende Entdeckungen aus der Natur. Ganz besonders außergewöhnlich ist im Moment die Beobachtungsstation für die beiden Bartgeier, die in der vergangenen Woche im Nationalpark Berchtesgaden ausgewildert wurden.

„Ich hab‘ ihn gesehen!“ strahlt meine Tochter, als ich sie vom Spektiv herunterhebe. Mit „ihn“ meint sie einen jungen Bartgeier. Und „ihn“ stimmt eigentlich nicht, denn es sind zwei Weibchen, die am vergangenen Donnerstag im Nationalpark Berchtesgaden ausgewildert wurden.

Wir sind heute Morgen mit Freunden am Klausbachhaus, in dem der Nationalpark Berchtesgaden eine sehenswerte Informationsstelle eingerichtet hat, losgewandert. Alles blüht wunderschön, unten im Tal der Flieder und die Kastanien, oben erwarten uns Mehlprimeln, Trollblumen und der blaustrahlende Enzian. Unser erstes Ziel ist die Halsgrube. Je nach Jahreszeit und Niederschlagsmenge entsteht in der Mulde ein richtiger See. Heute sehen wir kein Tröpfchen weit und breit und setzen uns zum Brotzeit machen auf die schöne grüne Wiese. Die Kinder kraxeln auf den Findlingen und versuchen große und kleine Schmetterlinge auf ihre Finger zu locken. Hinter uns steht die felsige Steilwand, durch die der Böslsteig zur Neuen Traunsteiner Hütte führt, vor uns ziehen sich Schuttreißen mit spärlich bewaldeten Stellen zum Knittelhorn hinauf.

Wir bemerken ein grünes Zelt weiter oben und ein reges Hin und Her von Nationalparkmitarbeitern: Da oben müssen sie irgendwo sein, die neuen Mitbewohner im Nationalpark Berchtesgaden. Vor über 140 Jahren wurden sie ausgerottet – nun sollen sich die Bartgeier hier in Berchtesgaden wieder heimisch fühlen.

An der Namensgebung der Neuankömmlinge konnte sich jeder beteiligen. Auch meine Tochter und ich haben einen Vorschlag eingereicht – leider ist er es nicht geworden. „Wally“ und „Bavaria“ heißen sie nun, informiert uns eine handgeschriebene Tafel an der Bartgeier-Informationsstelle nur einige Höhenmeter oberhalb der Halsgrube. Der Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) e. V. und der Nationalpark Berchtesgaden heißen Wanderer hier mit einer Fülle an Informationen Willkommen.

Und die Kinder bestürmen die jungen Praktikantinnen mit Fragen. Es gibt große Augen: Bartgeier ernähren sich von Knochen, schlucken sie im Ganzen und sie können Dank ihrer extremen Magensäure (so stark wie Batteriesäure) trotzdem problemlos verdauen. Sie baden gerne in Eisenoxid-haltigem Wasser, weshalb sich ihre weißen Federn stetig orangerot färben und sie besitzen einen knöchernen Ring um die Iris, der bei Aufregung sehr stark durchblutet wird und dann knallrot leuchtet. Sichtlich mulmig wird den zwei Kleinen, als sie sich vor das große Banner mit der Bartgeier-Abbildung stellen: Die Flügelspannweite von bis zu 2,90 m verdeutlicht ihnen stark, dass diese Geierart wahrlich zu einer der größten flugfähigen Vogelarten der Welt gehört.

Leise kommt die schüchterne Frage auf, ob der Bartgeier auch kleine Kinder holen könnte. Beruhigend, wie viel dagegenspricht: Der Bartgeier hat ganz abgeflachte Krallen, die es ihm gar nicht erlauben, verletzend zu greifen. Er kann nicht einmal ein Murmeltier mit ca. 2,5 kg Gewicht tragen. Und außerdem schmeckt ihm frisches Fleisch überhaupt nicht. Die Schauermärchen über das in alten Zeiten ganz zu Unrecht „Lämmergeier“ genannte Federwesen können also getrost vergessen werden. Apropos Federn: In einem ledernen Köcher gibt es echte Bartgeierfedern zu bestaunen – die Kinder dürfen sie auch anfassen.

Jetzt wollen sie Bavaria und Wally aber wirklich sehen. Nacheinander geht ans Spektiv. Es ist gar nicht einfach, die beiden in Spanien aus dem Ei geschlüpften Jungvögel zu erkennen – zu ähnlich sind sich Gesteins- und Gefiederfarbe. Aber dann schüttelt Wally kräftig ihr Gefieder und Bavaria pickt sich mit dem Schnabel ein Insekt vom Rücken – ein glücklicher Seufzer ist zu hören. Der Rest der Wanderung steht natürlich ganz im Zeichen der Bartgeier – vor der Hütte auf der Halsalmwiese liest die Großen den zwei Kleinen das Infoblatt vor und sie sorgen sich, ob die beiden im Nationalpark schon genug zu fressen finden werden. Die Praktikantinnen vom Info-Punkt haben uns erzählt, dass hierzu noch Aufklärungsarbeit geleistet werden muss: Manch tödlich verunglückte Almkuh müsse gar nicht für teuer Geld mit dem Hubschrauber aus unwegsamen Gelände geborgen werden. Solange Wasserschutzgebiete nicht betroffen seien, sei das gar nicht nötig und eine ganz natürliche „Entsorgung“ käme den großen neuen Mitbewohnern im Nationalpark sehr zu Gute.

Nach einer erfrischenden Apfelschorle auf der Halsalm und dem steilen Abstieg hinunter ins Tal, sitzen wir auf einem Bootssteg und kühlen unsere heiß gewanderten Füße im kalten Gebirgswasser des Hintersees. Ob der Bartgeier ein Vanilleeis nicht doch einem Kuhknochen vorziehen würde, konnten die Kinder – jeder mit einem Belohnungseis in der Hand – letztendlich nicht ganz ausdiskutieren.

Ich bin hier aufgewachsen und nach vielen Jahren im außereuropäischen Ausland fast reumütig zurückgekehrt: So schön und spannend es in der großen weiten Welt da draußen auch ist – dahoam in Berchtesgaden ist‘s doch einfach am schönsten! 2014 habe ich angefangen im Tourismus in Berchtesgaden zu arbeiten. Seit Januar 2021 bin ich in der Abteilung Destinationsmanagent im Zweckverband Bergerlebnis Berchtesgaden tätig. Meine kleine Tochter trat 2016 in mein Leben. Mit ihr bin ich viel in den Bergen unterwegs. Sport und Bewegung ist für Kinder so wichtig! Wir beide lieben die Natur und ihr Schutz liegt uns sehr am Herzen. Mit der faszinierenden Tier- und Pflanzenwelt, besonders im Nationalpark Berchtesgaden, gibt es auf unseren Touren jedes Mal aufs Neue unvergessliche Erlebnisse. Schreiben tu ich für mein Leben gern und so freue ich mich, die werten Leserinnen und Leser des Berchtesgaden Blogs zukünftig mit Portraits von besonderen Menschen, Berichten von unseren Wanderungen und kindlichen Gedanken zum Leben in den Berchtesgadener Bergen unterhalten zu dürfen!

6 Kommentare

  • Simone

    Ich habe mich über die Auswilderung der Baetgeier sehr gefreut und ich wünsche mir, dass das Projekt ein voller Erfolg wird!
    Nun kann man ab jetzt im Klausbachtal zwei sehr eindrucksvolle Greife beobachten. Toll!!

    • Claudia Chloé Schülein

      Liebe Simone, wir waren auch wirklich begeistert und drücken die Daumen, dass sich die beiden Bartgeier-Mädchen wohlfühlen und prächtig gedeihen und dass wir sie dann auch bald einmal fliegen sehen können! Herzliche Grüße aus Berchtesgaden!

  • matt faff

    Ich glaube das die Auswilderung der Bartgeier im Bergdesgadenerland eine Geniale und gute Idee ist moechte gerne sehn das sie guten Fuss fangen und sich gut Entwiklen denn sie gehoeren zu unserer Lebensgeschichte ich begruesse das Unternehmen von hier in down under Australia >mfa

    • Claudia Schülein

      Lieber Matt, wir grüßen Dich herzlich aus Berchtesgaden. Vielen Dank für Deine positiven Worte! Hoffentlich kannst Du mal zu uns reisen, um die Bartgeiermädchen hier in freier Wildbahn im Nationalpark Berchtesgaden beobachten zu können. Alles Gute einstweilen nach Down Under!!

  • Berchtesgadener Fan

    Hallo zusammen,

    Anfang des jahres habe ich von dem Berchtesgadener „Projekt Bartgeier“ erfahren und ich fand es mit eine der besten Ideen, wieder die Ursprünglichkeit etwas zurück zu bringen.

    Seit Mitte diesen Jahres (auch über diesen Artikel über Berchtesgaden) bin ich dann wieder darüber gestolpert, dass die Bartgeier wohl erfolgreich ausgewildert wurden.

    Leider habe ich bis dato noch nichts wieder gehört … weiß jemand wie es den Mädels geht? Oder was weiter geplant ist? Ich freue mich schon wieder, wenn ich endlich wieder ins Berchtesgadener Land (2022) kommen kann.

    LG
    Frank

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