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Mit dem Pistenbully durch die Nacht

Ja, ich gebe es zu, ich bin ganz schön aufgeregt. Ich darf heute Nacht Georg „Schorsch“ Lenz eine Schicht mit dem Pistenbully am Jenner begleiten. Keine alltägliche Sache für mich, aber für Schorsch und seine Kollegen nächtliche Routine in den Wintermonaten. Und doch gleicht keine Nacht der anderen, denn jede Schicht wartet mit Herausforderungen auf.

In Kürze geht es los – im Hintergrund der Untersberg

Um 17 Uhr treffen sich die drei Fahrer dieser Nachtschicht – Schorsch, Hannes Stengle und Alexander Eder (Betriebsleiter der Jennerbahn) – zur Einsatzbesprechung. Doch bevor diese beginnt, fällt ihnen eine Tourengeherin auf, die sich gerade bereit macht, über die Pisten noch eine abendliche Skitour auf den Jennergipfel zu gehen. Den Hinweis mit der Pistensperrung nimmt sie gerne an und schnallt ihre Skier wieder ab. Ein Ausnahmefall wie die Pistenbullyfahrer aus leidvoller Erfahrung wissen.

An mehreren Stellen im Skigebiet stehen diese Warnhinweise für Skitourengeher.

Schorsch Lenz ist seit 18 Jahren Pistenbullyfahrer. In den vergangenen Jahren hat er das schon auf der Steinplatte und im Skigebiet Dachstein West gemacht, seit 2020 ist er der Capo (Chef mag er nicht genannt werden) der Pistenpräparierung am Jenner. Tagsüber ist Schorsch selbstständiger Unternehmer mit seinen land- und forstwirtschaftlichen Diensten und betreibt auch noch eine Landwirtschaft mit 30 Milchkühen. Auf meine Frage, warum er sich die Nachtschichten am Jenner auch noch gibt, antwortet er mir: „Meine Frau und mein Vater wissen, dass ich das echt gerne mache und die zwei unterstützen mich im Winter und halten mir den Rücken frei“.

Die Helden dieser Nacht (v.l.) Hannes Stengle, Alexander Eder und Schorsch Lenz

Zurück zur Einsatzbesprechung: Wer präpariert wo, in welche Pistenabschnitte muss Schnee zugefahren werden, wo werden Schneedepots benötigt und worauf muss in dieser Schicht besonders geachtet werden. Und dann geht es auch schon los: Schorsch startet das 14 tonnenschwere Gerät und fährt damit aus der Pistenbullygarage in der Mittelstation der Jennerbahn.

Jetzt heißt es für mich Platz nehmen auf dem Beifahrersitz. Bei der ersten Schräglage wird mir gleich komisch im Magen, aber laut Schorsch ist das noch gar nichts. Er versichert mir aber gleich, dass wir uns bei den steilen Passagen mit der Seilwinde am Hang befestigen und somit keine Absturzgefahr besteht. Bis Mitternacht wird es heute wohl dauern. Mit 11 km/h nähern wir uns langsam dem ersten Einsatzpunkt am Pulverbunker. Hier heißt es, Schnee hinbringen, denn an dieser Stelle schwingen alle Skifahrer ab und die Kuppe ist entsprechend ausgefahren. Auf dem Weg dorthin erklärt mir Schorsch, was es mit dem Namen Pulverbunker auf sich hat: Am Jenner werden an ausgewiesenen Stellen gezielt Lawinen abgesprengt. Neuralgische Punkte sind der Spinnergraben und vier Punkte am Hohlweg. Wobei dort nicht Sprengstoff zum Einsatz kommt, sondern ein Propan-Sauerstoffgemisch, das über ein unterirdisches Rohrsystem zugeleitet wird. Mit der Zündung wird eine Druckwelle ausgelöst und der Schnee geht ab.

Doch bevor Schorsch mit Schneetransport und Präparierung beginnt, sichert er den Pistenbully an der Seilwinde. Nun kann ich mich entspannt zurücklehnen – bis wir das erste Mal so richtig über der Kuppe hängen und abwärts in die finstere Schwärze fahren. „Jaja, stahd werst vo selber“, lacht Schorsch als meine ständige Fragerei dabei ins Stocken gerät. 

Die Seilwinde bei der Arbeit – an der Kuppe verschwindet das Seil im Schnee. Genau hier lauert auch die Gefahr für nächtliche Skitourengeher: sie haben keine Chance, das Seil zu sehen.

Weiter unten sehen wir den Pistenbully mit Alexander am Steuer – die Lichter blinken gut sichtbar in der sternenklaren Nacht. Alexander präpariert heute das Jennerfeld. Hannes hingegen sehen wir gar nicht – der hauptberufliche Baggerunternehmer ist bei dieser Schicht für die Talabfahrt zuständig.

Und jetzt geht’s rauf zum Gipfel“ freu ich mich schon auf die Aussicht. Wir sind fertig mit dem Pulverbunker und fahren zur Bergstation, weil „auf den Gipfel foahma ned“ wie mich Schorsch wissen lässt. Denn da gibt’s keine Pisten. Alles klar, weiß ich ja eigentlich eh. Nach der Bergstation machen wir uns auf den Weg zum Mitterkaser Stachus. Hier tummeln sich tagsüber die Familien, das flache Gelände animiert mich zu fragen, ob ich den Pistenbully auch einmal lenken darf. Als hätte Schorsch schon die ganze Zeit darauf gewartet, bietet er mir sofort das Steuer an. Ich kann Euch sagen, das macht richtig Spaß! Obwohl ich nur knapp 200 Meter Piste präpariere, bin ich mächtig stolz. Am schwierigsten ist übrigens – so komisch es klingt – das Geradeausfahren. 

Hochkonzentriert steuert Schorsch das 14 Tonnen Gerät durch den schmalen Hohlweg.

Ein Ende der Schicht ist in Sicht, als wir über den Hohlweg in Richtung Krautkaser fahren. Auch hier hängt Schorsch wieder die Seilwinde ein und angesichts des steilen Slalomhangs bin ich sehr dankbar, dass ich in einem topmodernen Pistenbully mitfahren darf. Das Seil am Windenarm hat eine Länge von 1.000 Metern. Wenn der Pistenbully am Seil hängt, ist die geringste Zugkraft ca. 0,9 Tonnen, die maximale Zugkraft liegt bei 4,6 Tonnen. Dank modernster Technik regelt die Seilwinde das alles automatisch – sie zieht und hält nach Bedarf. Für die technisch Interessierten noch ein paar Details: vorne im Pflug nimmt der Pistenbully bis zu acht Kubikmeter Schnee mit, hinten befindet sich die Fräse, die knapp 10 Zentimeter in die Tiefe geht und danach folgt der Finisher – die gewellte Oberfläche, die entsteht, hat vor allem praktische Gründe: denn dank der Wellen ist die Oberfläche größer und die Piste kann besser durchfrieren. Der Pistenbully hat hinten eine Spannweite von knapp sechs Metern. 

Die Fräse im Heck des Pistenbullys

Gegen 23:30 Uhr ist die Präparierung der Skipisten abgeschlossen, nach und nach treffen auch Alex und Hannes an der Mittelstation ein. Im Aufenthaltsraum besprechen sich die drei und halten die Stichpunkte im Schichtprotokoll fest. Es gab keine besonderen Vorkommnisse. Nicht so in der Nacht zuvor: ein Hydraulikschlauch hatte sich selbstständig gemacht und der betroffene Pistenbully musste mitten in der Nacht repariert werden. Da dauerte die Schicht für alle dann bis halb drei Uhr früh. Tja, da habe ich eindeutig Glück gehabt. Kurz nach Mitternacht bin ich daheim und freue mich auf mein Bett. Aber wie mir Schorsch schon angekündigt hat: „Eischlofn wiast ned glei!“ Und genau so wars, ich bin noch zig Bahnen mit dem Pistenbully gefahren, bevor mir die Augen zugefallen sind.

An dieser Stelle richte ich ein herzliches Dankeschön an die Jennerbahn und an Schorsch Lenz, dass ich das erleben durfte. Es war ein absolutes Abenteuer für mich!

Ich bin neu hier. Und das sogar im doppelten Wortsinn. Als Zugereiste und Wiedereinsteigerin im Tourismus komme ich mit dem neugierigen Blick von außen. Die Menschen in Berchtesgaden haben es mir angetan, ich mag sie. Ich bewundere die Leidenschaft und die Verbundenheit der Einheimischen zu ihrer Heimat und ihren Traditionen. Das ist etwas Besonderes. Ich freue mich darauf, das, was ich in Zukunft hier entdecken werde, auf diesem Blog zu erzählen.

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