Berge

Übernachtung mit Kind am Untersberg

Von Hüttenschlafsäcken und Schüsslkas, alten Sagen und neuen Kletterlegenden

Die Luft in den Latschen steht. Beinahe fühlt es sich an, wie in einer Sauna. Es ist bereits fortgeschrittener Vormittag und die Sommersonne knallt auf den Untersberg. Und wir mittendrin, setzen Fuß vor Fuß, zählen die Kehren, die den steilen Latschenhang zerteilen und linsen nach oben, wo die steilen Südwände des Untersberg immer näher rücken. Wir sind in Berchtesgadens Ortsteil Maria Gern aufgebrochen und waren bislang in angenehm schattigen Laubwäldern mit märchenhaften Lichtungen unterwegs oder haben fast flach unterhalb der Almbachwand gequert.

Doch lange dauert der Anstieg nicht. Bald trifft unser Weg auf den vom Scheibenkaser kommenden Roßlandersteig und plötzlich weht ein unglaublich angenehmes Lüftchen. Das sogenannte Gatterl, ein Holztor im Kuhzaun, stellt den Übergang zwischen den steilen Südhängen und den Almwiesen, sowie dem Hochplateau dar.

Das Gebimmel der Kuhglocken weht sanft herauf, doch für uns geht es weiter hinauf an den steilen Felswänden entlang, durch die Latschen, bis wir nach einer Biegung schon das Stöhrhaus oben stehen sehen.

Meine Tochter nimmt sofort das obere Stockbett in Beschlag. Sorgfältig breiten wir den dünnen Hüttenschlafsack aus. Dieser ist aus hygienischen Gründen Pflicht für jeden Übernachtungsgast in den Alpenvereinshütten. Meine Siebenjährige stützt den Kopf in die Hände und schaut von dort oben durch das Fenster hinaus in die wunderschöne Bergwelt, schaut und schaut – ganz ruhig.

Unsere Kammer ist winzig, Böden und Wände sind mit über hundert Jahre altem Holz verkleidet. Ein kleines Tischchen, liebevoll bemalt, ist außer den Betten und einem halbblinden Spiegel das einzige Mobiliar. Unsere staubigen Wanderschuhe haben wir unten gegen Hüttenhausschuhe eingetauscht. Auf unserem Stockwerk gibt es einen Waschraum und eine Toilette. Duschen können Gäste auf dem Stöhrhaus nicht. Da es keine Quelle in der Nähe der Berghütte gibt, basiert die Wasserversorgung allein auf einem großen Regenwassertank. Der ist zwar gerade gut gefüllt, aber um Trockenperioden vorzubeugen, rinnt das Wasser trotzdem nur ganz dünn aus dem Hahn und allerorts wird um sparsamen Umgang mit dem lebenspendenden Nass gebeten.

Diese Woche ist ein Feiertag in Bayern, mit Brückentag, dazu noch Sommerferien. Die Hütte brummt. Tagesgäste besetzen die Panoramaterrasse, lassen sich Kaffee und Kuchen schmecken und die Sonne auf den verschwitzten Rücken scheinen.

Die ersten Übernachtungsgäste checken ein. Die verschwitzten Klettersteiggänger marschieren mit klingelnden Sicherungsgeräten ein. Wir trinken ein Skiwasser, das hüttentypische Erfrischungsgetränk aus Wasser mit Himbeersirup und einem Spritzer Zitronensaft, und machen uns auf eine Erkundungstour ohne Rucksack. Zuerst geht es ein Stück abwärts. Ein schmaler Pfad führt in die Latschen. Nach wenigen Schritten bläst uns kalte Luft entgegen: Vor uns liegt das Mittagsloch. Eine Leiter ragt hervor. Gerade mal eine Person passt durch das Loch hinein.

Aus sicherem Abstand lugen wir vorsichtig hinein. Von früheren Touren weiß ich, dass es innen, am Stahlseil gesichert, entsetzlich steil und glitschig hinabgeht, bis der mutige Bergsteiger durch einen großen Höhlenschlund auf der Südseite wieder aus dem Fels kraxelt. Die Fantasie meiner Tochter schlägt augenblicklich Purzelbäume. Kaum ein Berg wird von mehr Sagen und Mythen umrankt, wie der Untersberg. Oft und oft haben sich unsere Gespräche an diesem Tag um den Kaiser Barbarossa, seinen unaufhaltsam wachsenden Bart und seine Untersbergmandl gedreht. Immer wieder haben wir nach versteckten Türen gesucht – wer einen kurzen Besuch wagt, soll im Inneren zwar Schätze finden. Aber im irdischen Leben sind plötzlich endlose Jahre vergangen. Das wollen wir nicht riskieren, denn wir müssen noch den Rund-Um-Blick vom Berchtesgadener Hochthron genießen. In weniger als einer halben Stunde sind wir auf dem 1.972 Meter hohen Gipfel und ganz Berchtesgaden liegt uns zu Füssen. Die Orte im Tal, der König Watzmann und seine Familie, das Wimbachtal, Hochkalter, Reiter Alm und der Blick ins Weite bis in den Chiemgau – ein atemberaubendes Panorama, das kaum eine Berghütte in den Alpen zu bieten hat.

Der Abend verläuft lebhaft – draußen auf der Terrasse ist es nun kalt und windig. Die Wirtsstube ist rappelvoll, die Teller mit Schweinsbraten dampfen, das Bier fließt, das ein oder andere Schnapsstamperl überquert den Tresen. Wir sitzen mit einem sehr netten, jungen Paar aus München am Tisch im Erker mit direktem Watzmann-Blick. Sie übernachten zum ersten Mal auf einer Hütte und sind hörbar begeistert.

Als wir am Morgen aufwachen, lassen die kleinen Striche drüben am Hochthron erahnen, dass sich ziemlich viele Übernachtungsgäste zu einem fulminanten Sonnenaufgang am Gipfel aufraffen konnten. Das Frühstück findet in fröhlicher Aufbruchsstimmung statt, alle packen Rucksäcke, füllen Trinkflaschen auf, lassen sich von einer der beiden Wirtinnen den Weg nochmal beschreiben. Die Sonne scheint, es verspricht ein herrlicher Tag zu werden.

Mein Nachwuchs verdrückt ein paar ernstgemeinte Tränen – sie würde gern noch länger auf der Hütte bleiben. Doch der Abstieg birgt Überraschungen – plötzlich steht Thomas Huber, Berchtesgadener Bergsteigerlegende, vor uns. Er arbeitet an einem neuen Kletterprojekt am Untersberg und war bereits zum Sonnenaufgang in der Wand. Jetzt will er noch die Dore besuchen und wir schließen uns an. Seit 45 Jahren ist Viktoria Huber, von den Einheimischen Dore genannt, schon Sennerin am Untersberg und lebt im Sommer mit den Kühen und Kälbern vom Lusabethlehen in Ettenberg auf der Zehnkaser Alm.

Trotz ihres Alters ist sie Sennerin mit Leib und Seele. Sie liebt das einfache Leben auf der Alm, kümmert sich rührend um das Vieh, und auch die Wanderer werden liebevoll umsorgt – ob mit einem kühlen Bier, einer sagenhaften Untersberg-Geschichte oder einer Rührmilli mit Butterbreckein – vergleichbar mit der gängigen Buttermilch. Mein Kind darf ein Brot mit selbstgemachter Alm-Butter und Schüsslkas probieren. Ihr ist der aus Magermilch gewonnene Käse etwas zu rass, zu würzig, aber ich esse das Brot gerne auf.

Über die herrliche Almwiese des Reissenkasers, wo wir auf Dores Kühe stoßen, und den Scheibelkopf, einen herrlichen Aussichtgipfel über Bischofswiesens Ortsteil Winkl, steigen wir Richtung Nierntalsattel ab.

Von dort führt uns der Pfad durch märchenhafte Wälder bergab und nicht viel später fliegt mein Schulkind seiner Oma in die Arme, die uns netterweise in Winkl abholt – quasi gegenüber, einmal über den Berg von unserem Ausgangsort.

Zwei ereignisreiche Tage in den Berchtesgadener Bergen gehen zu Ende und wir sind wie immer froh und dankbar, hier leben zu dürfen.

Ich bin hier aufgewachsen und nach vielen Jahren im außereuropäischen Ausland fast reumütig zurückgekehrt: So schön und spannend es in der großen weiten Welt da draußen auch ist – dahoam in Berchtesgaden ist‘s doch einfach am schönsten! 2014 habe ich angefangen im Tourismus in Berchtesgaden zu arbeiten. Seit Januar 2021 bin ich in der Abteilung Destinationsmanagent im Zweckverband Bergerlebnis Berchtesgaden tätig. Meine kleine Tochter trat 2016 in mein Leben. Mit ihr bin ich viel in den Bergen unterwegs. Sport und Bewegung ist für Kinder so wichtig! Wir beide lieben die Natur und ihr Schutz liegt uns sehr am Herzen. Mit der faszinierenden Tier- und Pflanzenwelt, besonders im Nationalpark Berchtesgaden, gibt es auf unseren Touren jedes Mal aufs Neue unvergessliche Erlebnisse. Schreiben tu ich für mein Leben gern und so freue ich mich, die werten Leserinnen und Leser des Berchtesgaden Blogs zukünftig mit Portraits von besonderen Menschen, Berichten von unseren Wanderungen und kindlichen Gedanken zum Leben in den Berchtesgadener Bergen unterhalten zu dürfen!

2 Kommentare

  • Gerold

    Hallo Claudia,
    ein interessanter Bericht und schöne Fotos – und es hat mich gefreut euch beide (und auch Thomas) „einfach so“ bei Dore auf ihrer Alm kennengelernt zu haben. Dies war ein schöner Abschluss meiner vier Tage am Untersberg und die Freude daran hat mich beim weiteren „Abstieg“ via Bannkopf und Gr. Rauher Kopf durch die Mittagshitze begleitet. Vielleicht schaffe ich es auch noch meine Erlebnis-Berichte dieser Unternehmung auf roBerge.de zu veröffentlichen…
    Weiterhin schöne Erlebnisse und Touren – sowie viele Grüsse aus RO
    Gerold

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