Berge

Eine gruselige Geschichte – Wanderung zur Mordaualm

Eines der Lieblingsbücher meiner Tochter ist der Band eines hiesigen Verlags, der die „Sagen und Märchen aus dem Berchtesgadener Land“ zusammengetragen und veröffentlicht hat. Schauerlich und blutrünstig – wie alte Märchen oft sind – kommen die Geschichten daher, sind mit historisch anmutenden Illustrationen untermalt. Auf Seite 36 bis 39 wird die Geschichte „Die Mordau“ erzählt und genau da wollen wir heute hin – zur Mordau-Alm. Gestern Abend haben wir die Sage noch einmal genauestens gelesen und sind bestens vorbereitet für die Spurensuche vor Ort.

Unser Auto lassen wir auf dem großen Parkplatz am Hochschwarzeck im Bergsteigerdorf Ramsau stehen. Wir gehen die serpentinenartige Straße hinauf und folgen dann dem Weg zum Waldrand. Gegenüber sehen wir die Hirscheckbahn, die munter Wanderer und Panoramagenießer auf das fast 1.400 Meter hoch gelegene Hirscheck transportiert. Neben uns ist die Pistentrasse des Schmuckenliftes.

Weiter rechts gegenüber liegt die große Wiese des Stöcklhofs, auf der im Winter Dutzende von Familien Winterpicknick machen, während die Kinder rodeln bis die Nasen ganz rot gefroren sind. Obwohl wir die warme Herbstsonne genießen, freuen wir uns bei dem Anblick auch schon, wenn hier oben wieder alles weiß ist und dieses Jahr die Lifte hoffentlich wieder mit Ski- und Snowboardfahrern besetzt sind.

„Glaubst Du wirklich, dass die Geschichte von der gemeinen Sennerin stimmt?“ fragt mich mein Nachwuchs während wir auf einem kleinen, sehr schönen Pfad auf ungefähr gleichbleibender Höhe den bewaldeten Hang queren.

„Das, wenn ich wüsste“ muss ich zugeben. Die Geschichte spielt 1382. Eine junge, wunderschöne Sennerin lebt auf der Alm. Sie ist mit einem armen Hirten liiert, der sie abgöttisch liebt und einen guten, treusorgenden Ehemann abgeben würde. Die Sennerin kann sich jedoch – ob ihrer herausragenden Schönheit – vor Verehrern kaum retten und verliebt sich auch bald in einen feschen Jäger. Den Hirten will sie nun loswerden und schmiedet mit dem Jäger einen Plan: Sie will ihn um einen Liebesbeweis bitten und hofft, dass er diesen nicht überlebt. „In die steilen Felswände des Göll schickt sie ihn, den armen Hirten, bloß, weil sie einen Strauß Edelweiß für ihren Hut für den Kirchgang haben will“ entrüstet sich meine Tochter, ob der treulosen Sennerin.

Am nächsten Tag kommt der Hirte, besorgt und aufgeregt, auf die Alm. Er versucht die Sennerin vor dem einfallenden Bayernherzog und seinen Kriegsknechten zu warnen, möchte sie beschützen. Die Sennerin denkt nur an ihren Jäger, verharmlost die drohende Gefahr und schickt den Jüngling ins Gebirge. Der Plan geht auf: Der arme verliebte Hirte stürzt beim Edelweißpflücken ab und bezahlt den Liebesbeweis mit seinem Leben. Die Sennerin und der Jäger werden aber auf der Alm von den Kriegsknechten überrascht und unter entsetzlichen Umständen ermordet.

Und deshalb heißt die Alm seither Mord-Au“ fasst mein Sprößling mit großen Augen zusammen. Die Geschichte berührt sie sichtlich. Die Sennerin bemitleidet sie kaum – ihr Mitgefühl gilt dem ausgeschmierten Hirten.

Nach etwa einer dreiviertel Stunde öffnet sich der Pfad bereits in die Almwiese. Ein paar Schritte noch steil bergauf und wir stehen schon am Gipfelkreuz und blicken auf die mittlerweile vier Kaser hinunter.

Einer davon ist noch bewirtschaftet – die Sonnenschirme sind aufgespannt und jede Menge Wanderer und Radfahrer lassen sich ein kühles Getränk und eine deftige Brotzeit schmecken.

Bei der anderen Almhütte ist nichts mehr los, nur ein paar Kälbchen sind noch in einem eingezäunten Stück Wiese – wahrscheinlich haben wir den Almabtrieb nur knapp verpasst. Zwischen den Felsen auf der Anhöhe spielen wir verstecken und genießen auf der Almwiese sitzend unsere mitgebrachte Brotzeit. Der Blick geht weit hinein in Richtung Hintersee und hinüber zu Hochkalter und Watzmann. Die Sonne scheint freundlich und warm und wir können uns beim besten Willen nicht vorstellen, dass in diesem Alm-Idyll so etwas Grausiges passiert sein sollte. Vielleicht ist die Geschichte auch gar nicht wahr? Und der Name der Mordau-Alm kommt ganz simpel von der hier wachsenden Bärwurz oder Alpen-Mutterwurz, einer hervorragenden Futter-, aber auch Heilpflanze, aus der man auch bestens Schnaps brennen kann? Die wurde nämlich – laut botanischer Aufzeichnungen aus dem 19. Jahrhundert – bei den Einheimischen „Mordaun“ genannt.

Ob ich meiner Tochter von dieser unspektakulären Alternative der Namenserklärung erzähle? Ich beobachte sie, wie sie fröhlich vor mir auf dem Pfad zurück Richtung Ausgangsort marschiert und plappernd über Sennerinnen, Jäger, Hirten und böse Soldaten sinniert und denke: „In ein paar Jahren… vielleicht…“

Ich bin hier aufgewachsen und nach vielen Jahren im außereuropäischen Ausland fast reumütig zurückgekehrt: So schön und spannend es in der großen weiten Welt da draußen auch ist – dahoam in Berchtesgaden ist‘s doch einfach am schönsten! 2014 habe ich angefangen im Tourismus in Berchtesgaden zu arbeiten. Seit Januar 2021 bin ich in der Abteilung Destinationsmanagent im Zweckverband Bergerlebnis Berchtesgaden tätig. Meine kleine Tochter trat 2016 in mein Leben. Mit ihr bin ich viel in den Bergen unterwegs. Sport und Bewegung ist für Kinder so wichtig! Wir beide lieben die Natur und ihr Schutz liegt uns sehr am Herzen. Mit der faszinierenden Tier- und Pflanzenwelt, besonders im Nationalpark Berchtesgaden, gibt es auf unseren Touren jedes Mal aufs Neue unvergessliche Erlebnisse. Schreiben tu ich für mein Leben gern und so freue ich mich, die werten Leserinnen und Leser des Berchtesgaden Blogs zukünftig mit Portraits von besonderen Menschen, Berichten von unseren Wanderungen und kindlichen Gedanken zum Leben in den Berchtesgadener Bergen unterhalten zu dürfen!

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