Kultur

Als Engerl durch Berchtesgaden

Seit Wochen wird jeden Abend ein Häkchen gemacht, in der Kalendertabelle an der kleinen Tafelwand im Zimmer meiner sechsjährigen Tochter. Sie kann es gar nicht erwarten, bis sie am 5. Dezember endlich beim Buttnmandllauf als Engerl mitmachen darf.

Das Buttnmandllaufen ist eine ureigenste Berchtesgadener Tradition. Am 5. und 6. Dezember finden sich fast 40 Gruppen, sogenannte Bassn, in den Berchtesgadener Tälern zusammen – junge, unverheiratete Männer mit rußgeschwärzten Armen, hölzernen Masken, sogenannten Loafn, und gebundenen Reisigruten. Auf dem Rücken schleppen sie kleine bis riesig große Kuhglocken. Angeführt werden die Bassn vom Heiligen Nikolaus, begleitet von wahlweise Knecht Ruprecht, Engeln oder den Nikoloweibin. Mit lautem Glockengeschepper und fruchteinflößenden Schreien lärmen sie durch die fünf Gemeinden. Neben den in Fell gekleideten Gangerl und Kramperl gibt es in Berchtesgaden die Buttnmandl, die in Stroh eingebunden werden. Das Stroh ragt teilweise meterhoch auf und dieses Einbinden ist eine absolute Besonderheit unter den alpenländischen Adventstraditionen, die ihren Ursprung im heidnischen Lärmbrauchtum finden.

60 Jahre Buttnmandllauf der Struber Gebirgsjäger

Der Buttnmandllauf der Gebirgsjäger in der Strub nimmt eine besondere Stellung in Berchtesgaden ein. Während das traditionelle Buttnmandllaufen ein reiner Einkehrbrauch ist und die Bassn hauptsächlich die Familien in ihren Häusern besuchen, sind die Buttnmandl aus der Kaserne ein Pflichttermin, vor allem für Familien mit Kindern, und stehen voll im Licht der Öffentlichkeit.

Vater des Gedankens war Helmut Weinbuch, ehemaliger Generalsekretär und Sportdirektor des deutschen Ski-Verbands. Die Soldaten in der Kaserne sollten mit dem Brauchtum der Berchtesgadener vertraut gemacht werden – Verknüpfung von Militär und Zivilgesellschaft, lautetet das Stichwort. Schon der erste Lauf 1962 stieß bei Beteiligten und Zuschauern auf so große Begeisterung, dass klar war: So etwas muss jedes Jahr stattfinden. Und so geschah es dann auch: Seit 60 Jahren gibt es den jährlichen Buttnmandllauf des Gebirgsjägerbataillons 232.

Welch ein Aufwand an diesem Tag! Organisator Sepp Pfnür ist seit Wochen beschäftigt. Früher war er selbst aktiver Bundeswehrler und Buttnmandl. Seit über zehn Jahren ist er als ziviler Angestellter in der Verwaltung der Kaserne tätig. Am Vormittag gibt es einen Festakt zum 60-jährigen Jubiläum. Wichtige Größen aus der Bundeswehr reisen extra nach Bischofswiesen, die Bürgermeister, der Landrat und andere Honoratioren finden sich in der Kaserne ein.

Das alles interessiert meine Tochter wenig. Immer mehr in Weiß und Gold gekleidete kleine Mädchen finden sich in der Kaserne ein. Sie flattern herum wie kleine weiße Tauben, die Aufregung ist ihnen augenscheinlich anzumerken. In einem Raum im Offiziersheim kommt der letzte Schliff: Fest geflochtene Zöpfchen werden aufgelockt, der goldene Kopfschmuck zurechtgerückt, die Flügel festgezurrt. Jetzt ist Geduld gefragt, bis es endlich zur großen Aufstellung auf dem Gefechtsübungsplatz kommt.

Hier stehen endlich zwei Pferdekutschen bereit, eine ist bereits mit der Musi besetzt, die den Zug mit herrlichen Weisen begleitet. Auf nervös tänzelnden Haflingern sitzen als Engel verkleidete Reiterinnen der Bundeswehr. Die Tragtierkompanie aus der Kaserne Bad Reichenhall ist mit Mulis angereist, die hübsch dekorierte Geschenkkisten schleppen. Der Nikolaus ist wunderschön anzusehen mit seinem weißen Rauschebart und dem weiten Bischofsgewand. Knecht Ruprecht mit seinem Sack steht rußig schwarz daneben. Und nun geht ein Raunen durch die Reihen der kleinen Engel: Jetzt wird ihnen erst so richtig bewusst, wer da weiter hinten in einer langen Reihe steht und den segnenden Worten des Militärseelsorgers lauscht: An die zehn Buttnmandl mit grausigen Holzloafn und drei gefährlich schnelle Gangerl mit Klingelglöckchen und dicken Fellen am Körper. Die Gesichtsausdrücke der Engerl stehen repräsentativ für ihren großen Respekt vor den garstigen Gesellen.

Jetzt geht es los. Pünktlich um 14 Uhr wird das riesige hölzerne Kasernentor geöffnet und der Zug setzt sich in Bewegung. Allen voran die örtliche Polizei, denn die Sicherheit aller Zuschauer und Beteiligter ist dieses Jahr besonders wichtig – gerade nach den beiden Jahren Corona-Zwangspause werden noch mehr Zuschauer als üblich erwartet.

Richtig eingeschätzt: Die abgesperrten Bereiche sind proppenvoll. Oma und Opa und einige Klassenkameraden meiner Tochter haben es dennoch geschafft, sich ganz vorn an der Absperrung zu postieren und winken begeistert. Die Engerl platzen vor Stolz und werfen mit vollen Händen Gummibärchentüten, Bonbons und Traubenzucker in die Menge. Über den Struber und den Gmundberg bewegt sich der Zug langsam aber sicher und immer von Zuschauergruppen gesäumt, vorbei am Haus der Berge auf das historische Zentrum Berchtesgadens zu. Das Hotel Edelweiss verköstigt alle Beteiligten durch einen spontanen Straßenservice und hinein geht es in die engen Gassen, mitten durch den Christkindlmarkt, durch die imposanten Torbögen zum Schlossplatz. Die gut ausgebildeten Tiere lässt der Trubel kalt, zuverlässig verrichten sie ihren Dienst und spitzen aufmerksam die Ohren.

Vor dem Königlichen Schloss Berchtesgaden auf einer kleinen Bühne kommt nun noch der große Auftritt der Engerl – sie dürfen mit Nikolaus und Knecht Ruprecht auf die Bühne und dort vor großem Publikum ihre Lieder singen. Danach bekommen die Kinder aus den Zuschauermengen einen großen Schokoladennikolaus – direkt aus Engelshand.

Jetzt sind alle sichtlich müde und erschöpft – zurück geht es durch die Torbögen zur Traditionsgaststätte Goldener Bär, wo Wirt Beppi Haslinger die Engelsschar mit Keksen und heißen Kakao verköstigt – wie er es an jedem 5. Dezember bereits seit 60 Jahren zuverlässig und gastfreundlich tut. Unten im Innenhof laufen die Buttnmandl ein und die Engerl können es nicht lassen, sie vom Balkon oben etwas zu foppen – jetzt, da ihr adventlicher Auftrag erfüllt ist, muss ein kleiner Spaß schon sein.

In unserem Online-Shop könnt Ihr ein Buttnmandl-Souvenir kaufen: Handgeschnitzte Kramperl Loavn von der Berchtesgadener Handwerkskunst. Jede einzelne Maske ist liebevoll von Hand geschnitzt, bemalt und mit echtem Fell beklebt.

Ich bin hier aufgewachsen und nach vielen Jahren im außereuropäischen Ausland fast reumütig zurückgekehrt: So schön und spannend es in der großen weiten Welt da draußen auch ist – dahoam in Berchtesgaden ist‘s doch einfach am schönsten! 2014 habe ich angefangen im Tourismus in Berchtesgaden zu arbeiten. Seit Januar 2021 bin ich in der Abteilung Destinationsmanagent im Zweckverband Bergerlebnis Berchtesgaden tätig. Meine kleine Tochter trat 2016 in mein Leben. Mit ihr bin ich viel in den Bergen unterwegs. Sport und Bewegung ist für Kinder so wichtig! Wir beide lieben die Natur und ihr Schutz liegt uns sehr am Herzen. Mit der faszinierenden Tier- und Pflanzenwelt, besonders im Nationalpark Berchtesgaden, gibt es auf unseren Touren jedes Mal aufs Neue unvergessliche Erlebnisse. Schreiben tu ich für mein Leben gern und so freue ich mich, die werten Leserinnen und Leser des Berchtesgaden Blogs zukünftig mit Portraits von besonderen Menschen, Berichten von unseren Wanderungen und kindlichen Gedanken zum Leben in den Berchtesgadener Bergen unterhalten zu dürfen!

2 Kommentare

  • Buchmann Gerhard

    Es war wieder voi schee war vom 16 lauf 1978 bis zum 26 lauf 1988 beim budnmandl lauf als Soldat dabei und zum 60 Jubiläum alls zuschauer bin stollz auf die Kameraden

  • Claudia Chloé Schülein

    Spannend, dass Sie selber vor einigen Jahren aktiv waren! Es freut uns sehr, dass Sie beim 60-jährigen Jubiläum dieses wunderbaren Brauchs dabei sein konnten. Herzlichste Grüße aus dem winterlich verschneiten Berchtesgaden!

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