
Erkundung der Blaueis-Arena Teil 2 – Hochkalterüberschreitung

Die Hochkalter-Überschreitung
Am zweiten Tag meiner Blaueis-Expedition sollte es mich auf den Hochkalter (2607m) führen. Die Hochkalterüberschreitung gilt als einer der Klassiker unter den anspruchsvollen Bergtouren im Berchtesgadener Land und verlangt vom Bergsteiger deutlich mehr Können und Erfahrung als die Schärtenspitze am Vortag.
Trittsicherheit und Schwindelfreiheit sind auf der langen, durchgehend ungesicherten Kammüberschreitung obligatorisch. Zusätzlich müssen mehrere, teilweise ausgesetzte Kletterstellen überwunden werden, die zumeist im ersten Schwierigkeitsgrad verbleiben, an der Schlüsselstelle aber auch kurzzeitig den zweiten Grad der UIAA-Skala berühren.
Auch der Abstieg durch das Ofental ist im steilen, schuttigen und felsdurchsetzten Gelände eine ernstere alpine Angelegenheit und ist vor allem weit und mühsam, sehr weit und mühsam…Eine Top-Kondition ist also unerlässlich um die 18,5 Kilometer und 1800 Höhenmeter jeweils im Auf-und Abstieg erfolgreich hinter sich zu bringen. Insbesondere wenn man die Überschreitung ohne Übernachtung auf der Blaueishütte durchführt.
Aufstieg über die Blaueishütte und den schönen Fleck
Ausgangspunkt und Endpunkt der Überschreitung war für mich der Parkplatz Seeklause kurz vor dem Hintersee, den ich morgens von Berchtesgaden aus erst um 10 Uhr erreichte. Entsprechend versuchte ich auf dem Anstieg zur Blaueishütte Zeit gut zu machen und überholte das bunt zusammengesetze Wanderpublikum, das sich an diesem heißen Sommertag auf zur Blaueishütte machte. Die Tatsache, dass ich den Hüttenzustieg bereits am Vortag erkundet hatte, beschleunigte meinen Gang zusätzlich. An der Hütte angekommen, füllte ich meine Wasserreserven auf (letzte Möglichkeit auf der langen Überschreitung) und erlaubte mir ein Stück von dem berühmten Kuchen auf der Blaueishütte. Eigentlich schade, dass man auf der Überschreitung nicht ein zweites Mal an der Hütte vorbeikommt, sonst hätte es später mit Sicherheit noch eine zweite Kostprobe gegeben.
So verlasse ich die Hütte gegen frühen Mittag und werfe einen ersten Blick auf den langen Grat, der über den Rotpalfen und Kleinkalter zum Hochkalter führt.

An der Wegkreuzung hinter der Hütte ist der Aufstieg bis zum Hochkalter mit 2 3/4 Stunden angegeben, was im Vergleich zu manch anderer Zeitangabe in der Region relativ ambitioniert bemessen ist. Vor allem wenn man wie ich in der prallen Mittagshitze die steile Geröllrinne zum Schönen Fleck aufsteigt.

Die Rinne entpuppt sich als harmloser und angenehmer zu gehen, als sie von unten oder etwa von der gegenüberliegenden Schärtenspitze wirkt. Dort kann ich aus der Ferne eine Seilschaft dabei beobachten, wie sie durch die steilen Nordwestwände dem Schärtenspitz-Gipfel immer näher kommt.

Ganz so steil und anspruchsvoll geht es an der ersten Kletterstelle meiner Tour nicht zu. Am Ende der Geröllrinne wartet eine etwa 15 Meter hohe, mit Latschen durchzogene Plattenwand, die auf guten Tritten erklettert werden kann (UIAA-Skala: I). Mit einem letzten Armzug erreicht man schließlich die Kammhöhe und ist wie in jeder Scharte gespannt, was man auf der anderen Seite wohl erblicken wird. Wer an dieser Stelle bereits große Probleme hat, sollte umkehren, für alle anderen beginnt nun das eigentliche Graterlebnis. Vorher genieße ich aber noch die sanfte Szenerie am Schönen Fleck, ein Platz der seinem Namen wirklich alle Ehre macht und zur ersten Pause einlädt.




Nun richtet sich der Blick gen Süden dem Rotpalfen zu und ich bin gespannt was mich in den kommenden Stunden so alles erwartet. Als erstes taucht ein zahmer breiter Schrofenhang auf, der einen in die Felstrümmerwelt unterhalb des Rotpalfen führt.

Von rot-weißen Markierungen geleitet, geht es durch die Felsblöcke auf einen Absatz unter einer auffälligen Felswand zu, die es zu erklettern gilt. Aus meiner Sicht die Schlüsselstelle der Tour, da sie griffärmer ist als beispielsweise die Stelle unter dem Schönen Fleck und in Richtung senkrecht tendiert (II).

Danach wechselt erst einmal Gehgelände mit leichtem schrofigen Gelände ab, das von Zeit zu Zeit den Einsatz der Hände verlangt. Unterhalb des Rotpalfen-Gipfels entlang gelangt man auf einen grasigen Absatz, mit jedem Schritt weitet sich nun die Aussicht. Von hier aus hat man auch einen guten Überblick über den Weiterweg zum Kleinkalter und es ist einfach zu erkennen, dass das Gelände von nun an durchgängig felsig wird und der hier noch breite Kamm sich bald zu einem schmaleren Grat zusammenzieht.




Von nun an ist es ein wahrer Genuss über den Grat zum Kleinkalter zu wandeln. Wie auf einem monumentalen Beckenrand steigt man teilweise direkt und luftig oberhalb der senkrechten Abstürze 400 Meter über dem Grund des Blaueistales Meter für Meter höher in Richtung Kleinkalter. Die Hände kommen jetzt wieder öfter zum Einsatz und helfen dabei kurze Grataufschwünge im leichten Felsgelände zu erklettern. Zwischendurch gibt es immer wieder lange Gehgelände-Passagen. Auch wenn der Grat nie überaus schmal ist und zum Klausbachtal hin in nicht ganz so steilem Schrofengelände abfällt: Wer hier nicht absolut schwindelfrei ist, bekommt Probleme! Faszinierend ist der Blick zum Blaueisgletscher hinab, der unterhalb der Blaueisscharte an dem steilen Hang zu kleben scheint und sein wohl leider nicht mehr allzu langes Dasein fristet. Darüber baut sich nun auch mächtig der Hochkalter auf, der wortwörtliche Höhepunkt des Tages ist in Sicht!



Ein letzter knackiger Grataufschwung, der Kleinkalter ist erreicht und man überblickt den kompletten Schlussanstieg zum Hochkalter. Bevor der Grat final nochmal aufsteilt, geht es kurzzeitig eben und teilweise auch abwärts in eine enge Einschartung zwischen Klein- und Hochkalter. Aus der Scharte geht es steil, erneut etwas luftig aber gut gestuft (I) wieder hinauf. Während des Schlussanstiegs merke ich die Schärtenspitze in meinen Beinen, auch die starke Sonneneinstrahlung macht sich immer mehr bemerkbar. Die immer weitreichendere Aussicht entschädigt dafür und wandelt das aufkommende Erschöpfungsgefühl in Glücksgefühle über den bevorstehenden Gipfelerfolg um. Auf dem Gipfelgrat angekommen, öffnet sich ein Wahnsinnspanorama zu allen Seiten. Verheißungsvoll grüßt das Kreuz herüber. Nach den letzten ausgesetzten Metern hoch über dem Blaueisgletscher, die nochmal Konzentration fordern, ist dieses nun schnell erreicht und empfängt mich mittlerweile als einzigen Gast.


Oben angekommen gibt es erstmal eine ausgiebige Stärkung. Dann blicke ich zurück über den langen Grat, den ich aufgestiegen bin, schaue lange in das weite Rund und versuche die zahlreichen Gipfel, nah und fern, einzuordnen. Die gesamten Berchtesgadener Alpen breiten sich vor mir aus. Gegenüber grüßt das mächtige Watzmann-Massiv auf dessen Gipfel man die zahlreichen Watzmann-Überschreitung-Begeher beobachten kann. Dahinter erstreckt sich das Steinerne Meer, in dessen Weite die Schönfeldspitze und der große Hundstod besonders auffallen. Ein Großteil der nördlichen Kalkalpen lässt sich überblicken, markant ragen die Leoganger und Loferer Steinberge und dahinter das Kaisergebirge aus dem Gipfelmeer. Auf der anderen Seite grüßt aus der Ferne der Dachstein herüber. Den Horizont im Süden bildet die lange, schneebedeckte Kette der Hohen Tauern, deren höchste Gipfel Großglockner und Großvenediger leider von den Wolken verdeckt bleiben.
Faszinierender als die Fernblicke sind fast noch die Tief- und Nahblicke in den Blaueiskessel, das wilde, nordamerikanisch anmutende Wimbachgries mit seinen gewaltigen Geröllströmen und auf die außergewöhnlich geschichteten Gratschneiden der südlichen Hochkaltergruppe, welche sich bis zur Hocheisspitze aneinander reihen.





Ich versinke in Tagträumereien bis mich irgendwann der Wegweiser in Richtung Ofental daran erinnert, dass ich gerade mal höchstens die Hälfte der Strecke zurückgelegt habe und noch ein langer Abstieg wartet. Wehmütig mache ich mich auf den Weg nach unten, der am Gipfel mit 4,5 Stunden bis zum Hintersee ausgeschildert ist.


Die ersten 300 Höhenmeter des Abstieges haben es besonders in sich. Die meiste Zeit geht es durch felsdurchsetzte Schotterrinnen abwärts. Durchgängig fordert das steile Gelände ein hohes Maß an Konzentration und Trittsicherheit. Meine Hoffnung, dass ich einen Großteil des Abstieges durch Geröll absurfen könne, muss ich schnell begraben. Die Mischung aus Schrofen, Kletterstellen und feinstem Schutt lässt das einfach nicht zu. Eine Querung nach links darf man nicht verpassen, ansonsten landet man in gefährlichem Absturzgelände. Von einem Weg kann übrigens die ganze Zeit keine Rede sein, vielmehr leiten Markierungen durch die unübersichtliche Flanke. Absatz für Absatz kommt man dem Ende der Schinderei näher. Trotz des mühsamen Abstiegs bin ich begeistert von der Landschaft die mich umgibt, das Ofental besticht durch seine raue Schönheit. Die hellen, geriffelten Felsen von Ofentalhörndl, Steintalhörndl usw. gleißen in der Sonne, spektakulär auch der Blick zur Reiter Alm. Nach einigen Einser-Kletterstellen erreicht man irgendwann endlich das obere Ofental und damit eine gewaltige Geröllwüste.







Endlich kann man auch Teilstücke über das Geröllfeld und zwischendurch auch über Schneefelder abfahren. In dem Geröllteppich verliere ich den Pfad kurz, zumeist verläuft er eher etwas rechtsseitig, spätestens wenn man den grasigen Absatz am Ende der Steinwüste erreicht hat, findet man ihn einfach wieder. Das Ofental macht seinem Namen heute alle Ehre. Obwohl die Sonne bereits sinkt, knallt sie gnadenlos auf mich herab. Die hellen Steine auf dem Grund reflektieren zusätzlich die warmen Strahlen, sodass ich gefühlt mit dem Regler auf Unter- und Oberhitze in einem überdimensionalen Ofen gebrutzelt werde. Langsam zehrt die Wegdistanz kombiniert mit der Hitze an meinen Kräften.

Schließlich zieht sich das Geröll immer mehr zurück und die Szenerie ändert sich. Im unteren Abschnitt ist das Ofental reich an Vegetation und ein wahres Kleinod. Der Steig wird nun etwas angenehmer zu gehen, da man hier nach langer Zeit mal wieder festen Grund unter seinen Füßen hat, dennoch bleibt der ruppige Charakter des Abstieges bestehen.
Schatten wäre nun schön! Irgendwann hat die Sonne mein Hirn so weich gekocht, dass ich tranceartig Schritt vor Schritt setze, es von einem bekennenden Sonnenanbeter Fluchtiraden gegen die Hitze hagelt und ich immer langsamer der Waldgrenze näher komme. Von da sind es dann noch 600 Höhenmeter bis ins Klausbachtal. Ich erinnere mich daran, wie mein Vater mir und meiner Schwester in unserer Kindheit immer Lieder vorgesungen hat, um uns auf unseren ersten Bergtouren zum Weitergehen zu motivieren. Mein absoluter Favorit war und ist immer noch das an Poesie und Lerneffekt kaum zu überbietende Lied von der Kuh auf der Alm.
Auf der Alm da steht ne Kuh, halleluuuuja,
macht ihr *****loch auf und zu, halleluuuhhjaa.
Hinter der Kuh da steht ein Schwein, halleluuuuja,
schaut der Kuh ins *****loch rein, halleluuuhhjaa.
Dann sagt die Kuh: „Du dummes Schwein!“, halleluuuuja,
„schau mir nicht ins *****loch rein!“, halleluuuhhjaa.
Dann sagt das Schwein: “ Du dumme Kuh!“, halleluuuuja,
„dann mach doch dein *****loch zu!“, halleluuuhhja.
Und die Moral von der Geschicht, halleluuuuja,
schau ner Kuh ins *****loch nicht!, halleluuuhhja.
Zum Glück war am frühen Abend weit und breit keine Menschenseele im Ofental unterwegs….!
Einige Kehren durch den Latschen- und vereinzelt bewaldeten Hang später, gelange ich an einen auffälligen Wegweiser, der mich weiter runter in Richtung Klausbachtal leitet. Nun geht es weit ausholend durch dichten Bergwald hinab. Das Rauschen des Klausbaches kommt allmählich näher. Dann folgt das wohl größte Hindernis und die inoffizielle Schlüsselstelle des Tages. Die Unwetter der vergangenen Tage haben den Steig hier in einen etwa 200m langen Fichtenhürdenlauf verwandelt. Zwischen 10-15 Bäume, die in besonders ungüstiger Höhe quer über den Weg liegen, müssen hockend, springend und kletternd überwunden werden. Ein Umgehen ist zumeist nicht möglich. Nach 10 Stunden Bergtour keine angenehme Aufgabe und so bleiben einige Kratzer zurück…

Bald geht der wilde Pfad in einen Forstweg über, der lange parallel zum Klausbachtal durch den Berghang führt. Schließlich lässt er Gnade walten und peilt die Talsohle des Klausbachtales an. Dieses erreicht man auf Höhe der Lahnwald-Diensthütte, wo ein schöner Picknickplatz zu der letzten Pause einlädt. Von hier erreicht man dann auf ebenem „Hatscher“ in etwa 30 Minuten den Ausgangspunkt am Parkplatz Seeklause. Von oben grüßt zum Abschluss leuchtend der Hochkaltergrat herab, der mir an diesem Tag ein landschaftlich fantastisches, in alpiner Hinsicht spannendes, von der Wegbeschaffenheit abwechslungsreiches und an den Kräften zehrendes Bergerlebnis bereitet hat!
Wie immer rollt mich mein treu wartendes Fahrrad nach Schönau herab…



4 Kommentare
Oliver
Hi Jannis,
wieder ein sehr schöner Bericht mit tollen Fotos . Dank euch Bloggern ist das warten und die Vorfreude erträglich 🙂 .Jetzt sind es nur noch 2 und eine halbe Woche bis wir endlich wieder da sind . Falls man sich mal auf einer Tour begegnet gibt der Flachlandtiroler gerne einen aus.
PS : das Lied von der Kuh kennen wir hier auch 🙂
Jannis
Hi Oliver,
uns Blogger freut es, wenn wir eure Wartezeit mit unseren Berichten aus der Ferne etwas versüßen können. Zweieinhalb Wochen sind ja eh nicht mehr lang! Ja vielleicht treffen sich Flachlandtiroler und „eingebürgerter“ Flachlandtiroler ja zufällig irgendwo im Bergland 😉 Dann müssten wir unbedingt das Lied von der Kuh unplugged vor großem Wanderpublikum zum Besten geben!
lg
Jannis
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