Alte Schachtel
Die Geschichte der Biwakschachtel in der Watzmann-Ostwand
Berti Kastner ist Bergsteiger aus Leidenschaft, Polizei-Bergführer a.D. und langjähriges Mitglied der Bergwacht Berchtesgaden. Bei dutzenden Einsätzen ist er mit der Bergwacht in der Watzmann Ostwand dabei. Er selbst stiegt über 100 Mal durch die 2000 Meter hohe Wand, mit Freunden oder allein, zum ersten Mal im Jahr 1953. Die Geschichte der Biwakschachtel in der Watzmann-Ostwand hat den heute 85-Jährigen viele Jahre seines Lebens begleitet.
„Damals war ich 19 Jahre alt und zusammen mit meinem Bruder Edi unterwegs„, erinnert Berti sich. „Wir haben am Vorabend das letzte Boot über den See genommen und später auf St. Bartholomä die Bergwacht getroffen. Sie boten uns an, dass wir uns ihnen anschließen. Was wir nicht wussten: Am Morgen haben uns die Kameraden jeweils ein 12 Kilogramm Stahlseil in den Rucksack geladen und wir waren mittendrin bei einer Totenbergung auf dem Salzburger Weg„. Ein Jahr später treten die Kastner Brüder offiziell der Bergwacht Berchtesgaden bei.
Für Berti Kastner geht von der ersten Biwakschachtel eine ganz besondere Faszination aus. Bergwacht-Kameraden bauen die allererste Biwakschachtel 1950 im Bereich der Watzmann-Südspitze auf der Westseite auf. Schon im Spätherbst 1949 werden dazu die Einzelteile vom Wimbachgries aus hinaufgetragen und im Gipfelbereich deponiert. „Sie wurde damals aus Trümmerteilen amerikanischer Flugzeuge errichtet, die im 2. Weltkrieg abgeschossen wurden„. Die Boeing B-17 war damals der bekannteste Bomber der US-Luftstreitkräfte.

Nach einem Sommer am Gipfelgrat zieht die fertige Biwakschachtel im September 1951 an ihren endgültigen Bestimmungsort um: den Massigen Pfeile«, etwa in Falllinie unter der Watzmann-Südspitze in einer Höhe von 2 380 Metern. „Da stand die erste Biwakschachtel bis zum Jahr 2003 und hat zahlreichen Bergsteigern in Bergnot das Leben gerettet„. Davon ist Berti Kastner überzeugt, schließlich kennt er die vielen tragischen, verzweifelten und auch dankbaren Eintragungen im Biwakbuch genau.
Die Witterungsverhältnisse sind hart im Hochgebirge, insbesondere in der exponierten Watzmann-Ostwand. 52 Jahre in großer Höhe setzen der Biwakschachtel arg zu und hinterlassen irreparable Schäden. „Die Entscheidung zur Erneuerung haben wir im Jahr 2002 getroffen, anlässlich der 300. Ostwand-Begehung von Heinz Zembsch„, erinnert sich Berti Kastner. Schon im Juni 2003 wird die alte Schachtel aus der Wand ausgeflogen und im August 2003 durch eine neue, komfortablere Konstruktion aus wärmeisolierendem Material ersetzt. Die Pläne für diese neue Notunterkunft stammen von Berti Kastner. „280 Kilogramm schwer ist sie und bietet Platz für vier Bergsteiger. In Notsituationen kommen aber auch einige mehr darin unter.“

Bild © Berti Kastner
Sie ist ein Stück Lebenswerk für Kastner, ein besonderer Ort, den er nach Abschluss der Arbeiten nie wieder aufgesucht hat. „Irgendwann muss Schluss sein mit schwierigen Alpintouren. Die Errichtung der neuen Biwakschachtel, bei der mich einige Bergwachtkameraden tatkräftig unterstützt haben, war für mich ein schöner Abschluss von dieser beeindruckenden Felswand.„
Zweites Zuhause Haus der Berge
Im August 2003 wird die alte Biwakschachtel für ihren letzten Transport fertiggemacht: vom Berg zurück ins Tal. Seit 2013 steht die Biwakschachtel im Außengelände des Nationalparkzentrums Haus der Berge in Berchtesgaden.

Somit hat die alte Schachtel ein neues Zuhause gefunden: Im Haus der Berge können Besucher ein klein wenig nachempfinden, welche besondere Stimmung die kleine, orangefarbene Biwakschachtel umgibt. Und vielleicht erahnen, welche Dramen und auch schönen Bergerlebnisse sich hier in den vergangenen 52 Jahren Ostwand abgespielt haben.
Bitte beachtet: Die Tour durch die Watzmann Ostwand ist erfahrenen und konditionsstarken Alpinisten vorbehalten. Wegen der schwierigen Wegfindung sollten Ostwand-Aspiranten unbedingt einen Bergführer für die Tour engagieren.
Euer Sepp


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