
Steinadler-Begegnung an der Gotzenalm

An einem nebligen Herbstnachmittag sitzen wir auf dem schmalen Steig in der Laafeldwand. Hunderte Höhenmeter unter uns liegt das schöne Landtal mit seiner verfallenen Alm, am Gegenhang ragen die riesigen Wandfluchten des Kahlersbergs in den Wolkenlücken auf. Nachdem wir mit der Königssee-Schifffahrt bis Salet gefahren sind und den schweißtreibenden Aufstieg über den Landtalsteig hinter uns gebracht haben, möchten wir an diesem guten Aussichtspunkt ein wenig rasten.
Wildbeobachtungen im Landtal
Mit den Ferngläsern werden nun die zwischen den Nebelschwaden sichtbaren Hänge, Steilflanken und Grasbänder abgesucht. Bald entdecken wir einige Gämsen mit Kitzen friedlich zwischen den Karstfelsen äsend. Oben auf dem Plateau des Kahlersbergs ist hin und wieder das Gehörn eines stattlichen Steinbocks zu erkennen, und ein kleines Rudel Steingeißen mit ihren kugelrund wirkenden Kitzen liegt im Schutt am Wandfuß. Dazu ziehen krächzend einige Kolkraben am Himmel dahin, ein Turmfalke sucht im Rüttelflug über Grasflächen nach Mäusen und ein vielstimmig piepsender Schwarm Zeisige pickt Insekten in den nahen Lärchen ab.
Jagender Steinadler am Kahlersberg
Nach diesen vielen Sichtungen sind wir schon fast wieder im Aufbruch, als unten aus dem Landtal Warnpfiffe von Murmeltieren erklingen. Es ist jeweils nicht die übliche, längere Abfolge von Pfiffen, die auf einen Bodenfeind wie Fuchs, Mensch oder freilaufender Hund hinweist, sondern der einzelne, konzentrierte Pfiff: Luftfeind! Das kann eigentlich nur ein Steinadler sein, der diese Warnungen bewirkt. Sofort springen wir auf und halten mit den Ferngläsern Ausschau. Zuerst ist nichts zu sehen, doch dann fällt uns ein großer Schatten an einer der Wände am Kahlersberg ins Auge. Ein männlicher Adler segelt dort langsam und nah am Hang auf den Hochgschirr-Pass zu. Er hatte offenbar versucht, sich an die hier verstreut lebenden Murmeltiere anzuschleichen, wurde aber von den Nagern früh genug entdeckt. Da ein Angriff nun sinnlos ist, landet er bald in einer toten Lärche und hält nach weiteren Jagdgelegenheiten Ausschau.

Zum Greifen nahe
Nach einigen Minuten entscheidet der Steinadler offenbar, dass keine einfache Beute in der Nähe ist. Mit schweren Flügelschlägen erhebt er sich wieder in die Luft, kreist ein wenig – und hält dann direkt auf unseren Standort zu!

Wir können unser Glück kaum fassen, als der riesige Vogel immer näher kommt, uns mit seinen goldenen Augen mustert und dann keine 40 Meter über uns in einer abgestorbenen Fichte landet. Auch nach über zehn Jahren beruflicher Beschäftigung mit Steinadlern kann ich die Anzahl solch naher Begegnungen an einer Hand abzählen. Die mächtigen Fängen umklammern locker einen starken Seitenast, während das Tier entspannt die Umgebung mustert. Wir sind ihm kaum einen Seitenblick wert. Der Adler schüttelt die Federn aus, kratzt sich mit einer riesigen Kralle sogar im Augenwinkel und späht hinaus in die Wolken. Letztlich scheint ihm die Gegend nicht vielversprechend zu sein. Er springt ab, segelt ein wenig dahin und ist dann mit einigen Flügelschlägen über das Hochgschirr verschwunden.
Vorerst fast sprachlos vor Freude über dieses einmalige Erlebnis packen wir nun die Sachen zusammen und machen uns auf den Weg zur Gotzenalm. Der malerische Steig vorbei an der Regenalm wird zur bloßen Kulisse, während wir jedes Detail der Sichtung mehrfach Revue passieren lassen. Auch der Hüttenabend auf der Gotzen besteht vor allem aus dem Starren auf kleine Kameradisplays, wo Dutzende Fotos, viele unscharf oder anderweitig nutzlos, in allen Vergrößerungsstufen durchgegangen werden. Letztlich ist zwar keines der hektisch geschossenen Bilder preisverdächtig, aber die Erinnerung an diese Begegnung wird trotzdem unvergesslich bleiben.


3 Kommentare
Steve
Wow, was für ein geniales Erlebnis.
Ich freue mich schon immer riesig, wenn ich sie auf meinen Touren in weiter Ferne, oben am Himmel entdeckt…
…aber solch eine Sichtung: Gigantisch!
Toni
Ja Steve, manchmal gehört halt einfach endlos viel Glück dazu. Das wird jetzt bei mir aber wieder für ein paar Jahre ausgereizt sein. Es wird sich vorerst wieder auf Sichtungen beschränken wie du sie schilderst – aber sogar die freuen mich jedesmal unheimlich. 🙂
Eckhard
Wunderbar schade das ich zu weit weg bin