Kultur

Fertig! Auf! Feuer!

Die Weihnachtsschützen in Berchtesgaden

Die Weihnachtsschützen in Berchtesgaden stehen mit ihrer etwa 400-jährigen Tradition ganz besonders präsent für Bayern und verdienen es durchaus, seit 2018 als immaterielles Kulturerbe anerkannt zu sein. Ursprünglich stammt das Schießen aus dem heidnischen Lärmbrauchtum. Um die kalten Wintertage aus den damals unwirtlichen und rauen Gebirgstälern zu vertreiben und den Frühling zu wecken, wurde schon früh in der Geschichte der Bergbauern mit Ketten gerasselt oder mit Glocken gedröhnt. Mit den kurzläufigen, großkalibrigen Handböllern wird in Berchtesgaden seit Beginn des 19. Jahrhunderts gelärmt – eine mystische und ursprüngliche Gepflogenheit, die in Berchtesgaden gepflegt und gehütet wird. Eine Wissenschaft für sich, so kommt mir das Thema Weihnachtsschützen vor, nachdem ich mit Thomas Holm gesprochen habe: Bei diesem Brauchtum gibt es ausnehmend viele Regeln und Vorschiften, historisch gewachsene Besonderheiten und örtliche Ausnahmen von den Regeln. Thomas ist Vorsitzender der Vereinigten Weihnachtsschützen des Berchtesgadener Landes, Schützenmoasta vom Weihnachtsschützenverein Au und damit quasi Professor dieser Wissenschaft. Der freiberufliche Bauingenieur ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Er lebt in Berchtesgadens Ortsteil Oberau. Und wenn er nicht gerade mit irgendetwas beschäftigt ist, das mit dem Schießen zu tun hat, finden ihn seine Freunde am Hintersee oder an der Ache beim Fischen.

Thomas, erzähl mir bitte, wie Ihr Weihnachtsschützen organisiert seid.

In Berchtesgaden gibt es zurzeit 3.306 Weihnachtsschützen. Davon sind ungefähr 1.700 Aktive. Damit ist die Zahl der Mitglieder in den letzten Jahren erfreulicherweise angestiegen. Wir sind in 17 Weihnachtsschützenvereinen organisiert, alle unter dem Dach der Vereinigung. Weihnachtsschützen – das ist zwar kein eingetragener, geschützter Name, aber wir in den Gemeinden rund um Berchtesgaden blicken auf eine Jahrhunderte lange Tradition zurück. 1666 wurde das Schießen zu Weihnachten mit dem Handböller erstmalig urkundlich erwähnt. Wer der älteste Weihnachtsschützenverein Berchtesgadens ist, da sind wir uns nicht so einig – und dabei beziehe ich mich auf das Buch von Rudolf Kriss „Die Weihnachtsschützen des Berchtesgadener Landes und ihr Brauchtum“: Laut den Unterlagen ist es der Verein aus der Strub mit Gründung im Jahr 1874, aber das sehen die Oberherzogenberg-Schützen und andere Vereine anders. Die Anerkennung der Weihnachtsschützen als immaterielles Kulturerbe empfinden wir aber einhellig als große Ehre.

Wie werde ich Weihnachtsschütze?

Du wirst kein Weihnachtsschütze (lacht). Im Krieg haben auch mal die Frauen geschossen, aber ansonsten sind die Weihnachtsschützenvereine eine der allerletzten, männlichen Bastionen. Ansonsten gibt es einen zweitägigen Lehrgang mit Theorie- und Praxisprüfung, es wird ein Erlaubnisschein ausgestellt. Alle fünf Jahre muss der erneuert und der Böller einer Sichtprüfung und einem Wiederbeschuß unterzogen werden. Das alles wird streng überwacht, ist ein ziemlich komplexer Prozess und läuft über den Verein, die Vereinigung und die verschiedenen Ämter ab.

Wann üben die Weihnachtsschützen ihr Brauchtum aus?

Entgegen dem alten Lärmbrauchtum zur Vertreibung böser Geister, soll unser liebstes und wichtigstes Schießen jemanden anlocken. Nämlich das Christkind, zu Weihnachten. Traditionell beginnt es am 17. Dezember um 15 Uhr mit Beginne der O-Antiphonen in der katholischen Liturgie. Bis zum Heiligen Abend weisen wir dem Christkind täglich um die gleiche Uhrzeit den Weg nach Berchtesgaden. Über Weihnachten und zu Neujahr gibt es dann weitere Termine, streng nach Kalender und Vorschrift. Ich für meinen Teil liebe es zum Beispiel sehr, wenn wir an Silvester von Haus zu Haus gehen und ein gutes neues Jahr wünschen. Ansonsten dürfen unsere Böllerschläge an hohen Feiertagen, wie Pfingsten oder zum Erntedankfest, nicht fehlen. Jeder Verein hat dabei seinen angestammten Stand. Das sind vom Tal oder den gegenüberliegenden Hängen aus gut sichtbare Plätze. Zu Hochzeiten geht es übrigens in der Früh um 4 Uhr schon los. Das heißt, für den Markt Berchtesgaden gibt es hier eine Sonderregelung. Innerhalb des Ortskerns wird erst um 6 Uhr morgens geschossen. Im Bergsteigerdorf Ramsau geht es um die Herkunft des Brautpaars. Heiratet ein Bauer von einem Hof, wird um 4 Uhr geschossen. Heiratet ein Häusler, jemand mit eigenem Haus, aber wenig Grundbesitz, dann wird es erst um 5 Uhr laut.

Du bist Moasta bei den Weihnachtsschützen Au. Was sind Deine Aufgaben?

Ich bin dafür zuständig, vorher zu koordinieren, wie viele Schützen zu welchem Termin dabei sind. Vor Ort habe ich das Kommando: Fertig! Auf! Feuer! heißt es dann. Wir schießen Einzelfeuer, Salven und Schnellfeuer auf mein Kommando. Der Gehörschutz ist ein wichtiges Thema, da weise ich den einen oder anderen auch mal darauf hin. Und was uns besonders ausmacht: Ein jeder kommt zum Schießen mit der Tracht. Gut, wenn jemand zum Christkindl-Anschießen nachmittags kurz von der Arbeit vorbeikommt, dann mache ich eine Ausnahme. Ansonsten müssen die blaugraue Joppn, die Lederhosn, die grauen Wollsocken, der Schützenhut und alles Drum und Dran schon angelegt werden.

Ganz schön viele Termine und ganz schön viel zu beachten. Warum tut Ihr Euch das an?

Wir legen großen Wert auf unsere heimatliche Tradition und das christliches Brauchtum und möchten es lebendig erhalten. Außerdem sind Gemeinschaft und Geselligkeit für uns sehr wichtig. Bei den Weihnachtsschützen kommen wir zusammen, feiern gemeinsam: Alt und Jung, vom Bauarbeiter bis zum Professor. Wir können uns aufeinander verlassen: Wenn jemand Probleme hat, unterstützen wir uns gegenseitig. Das ist heutzutage unbezahlbar.

Da kann ich ihm nur recht geben, dem Thomas Holm, Vorsitzenden der Vereinigten Weihnachtsschützen des Berchtesgadener Landes. Ich bedanke mich recht herzlich für das spannende Gespräch – und auch die schönen Fotos, die mir für diesen Beitrag zur Verfügung gestellt wurden. Ich freue mich selbst schon sehr darauf, zur Adventszeit wieder diesen lautstarken Brauch zu hören. Wenn die Böllerschüsse an den Felswänden widerhallen, wird die Berchtesgadener Bergwelt in eine mystische Landschaft der Weihnachtszeit verwandelt und das lässt – trotz winterlicher Temperaturen – niemanden kalt. Das kann ich versichern.

Ich bin hier aufgewachsen und nach vielen Jahren im außereuropäischen Ausland fast reumütig zurückgekehrt: So schön und spannend es in der großen weiten Welt da draußen auch ist – dahoam in Berchtesgaden ist‘s doch einfach am schönsten! 2014 habe ich angefangen im Tourismus in Berchtesgaden zu arbeiten. Seit Januar 2021 bin ich in der Abteilung Destinationsmanagent im Zweckverband Bergerlebnis Berchtesgaden tätig. Meine kleine Tochter trat 2016 in mein Leben. Mit ihr bin ich viel in den Bergen unterwegs. Sport und Bewegung ist für Kinder so wichtig! Wir beide lieben die Natur und ihr Schutz liegt uns sehr am Herzen. Mit der faszinierenden Tier- und Pflanzenwelt, besonders im Nationalpark Berchtesgaden, gibt es auf unseren Touren jedes Mal aufs Neue unvergessliche Erlebnisse. Schreiben tu ich für mein Leben gern und so freue ich mich, die werten Leserinnen und Leser des Berchtesgaden Blogs zukünftig mit Portraits von besonderen Menschen, Berichten von unseren Wanderungen und kindlichen Gedanken zum Leben in den Berchtesgadener Bergen unterhalten zu dürfen!

3 Kommentare

  • Britta Lais

    Betr.: Weihnachtsschützen
    Ich schätze das Brauchtum, aber viele Tiere, gerade Hunde, leiden massiv.
    Dies wird eben auch billigend in Kauf genommen.
    Eine rechtzeitige „Vorwarnung“ über eine App wäre hier „Gold“ wert.
    Vielleicht sollten die Vereine Brauchtum mit Moderne verbinden.
    Nicht nur die Tiere würden dies danken!

    • G. S.

      Eigentlich weiss man genau, wann die Weihnachtsschützen schiessen. Zu diesen Zeiten sollten dann die schreckhaften Tiere im Haus oder Stall sein. Da sollte sich der Tierhalter mal mit dem „Brauchtum“ auseinandersetzten. Es gibt Bücher!
      Dann kann man die Termine selbst beachten.

    • Ernst Rudi

      In erster Linie sollen sich die Tierbesitzer Gedanken machen was ihren Tieren schadet. Wenn ich sehe, dass Herrchen oder Frauchen mit ihrem Hund bei großen geräuschintensiven Veranstaltungen (Musikumzüge, Kramperl- und Buttenmandllauf, Böllerschießen usw.) sich mitten im Getümmel oder sogar an vorderster Front, um ja nichts zu verpassen, sich aufhalten, dann frage ich mich, wer etwas billigend in Kauf nimmt. Als verantwortungsbewußter Tierhalter muß ich mich halt informieren und gegebenenfalls mal zurückstecken.

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